Christian Kracht : Faserland

Faserland
Faserland Originalausgabe: Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995 ISBN: 3-462-02407-8, 165 Seiten Taschenbuch: dtv, München 2011 (12) ISBN: 978-3-423-12982-4, 158 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein Yuppie reist ziellos von Party zu Party durch Deutschland, von Sylt bis zum Bodensee. Er lässt sich treiben und ist nicht in der Lage, mit anderen ernsthaft zu kommunizieren. Worüber sollte er auch reden, wo ihn im Grunde nichts interessiert? Ein Rest von Begeisterung glimmt nur auf, wenn er sich vorstellt, mit Isabella Rosselini Kinder zu haben und auf einer Insel zu leben. Ansonsten langweilt er sich, raucht, trinkt und kotzt ...
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Kritik

"Faserland" ist keine psychologische Studie, keine Gesellschaftskritik, sondern eine Bestandsaufnahme: Christian Kracht veranschaulicht die Befindlichkeit der dekadenten "Generation Golf".
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Wir erfahren nicht, wie der Erzähler heißt. Vermutlich handelt es sich um einen Mann Ende 20. Geld spielt für den Yuppie keine Rolle, obwohl er keiner bezahlten Tätigkeit nachzugehen scheint. Von einem festen Wohnsitz lesen wir auch nichts; wenn er nicht bei einem Freund übernachtet, nimmt er sich ein Hotelzimmer.

Bei Fisch-Gosch in List auf Sylt begegnen wir ihm zum ersten Mal. Dort trinkt er im Stehen Jever aus der Flasche und isst eine zweite Portion Scampi mit Knoblauchsoße, obwohl ihm das Bier nicht schmeckt und ihm bereits nach der ersten Portion übel geworden ist. Neben ihm steht Karin. Sie kennen sich aus Salem und sahen sich ein paar Mal im Traxx in Hamburg und im P1 in München. Karin studiert in München BWL. Sie ist mit dem S-Klasse-Mercedes ihres Bruders hier, der in Frankfurt Warentermingeschäfte macht. Statt Jever trinkt sie Chablis.

Die beiden fahren mit dem Mercedes nach Kampen. Dort wollen sie ins Odin. Unterwegs biegt Karin ab und hält auf dem Parkplatz des Nacktbadestrands Buhne 16. Sie wolle noch Sergio und Anne abholen, sagt sie und bezahlt 12 D-Mark Eintritt. Die Gesuchten sitzen in einem weiß-blau gestreiften Strandkorb und trinken Champagner in Plastikbechern. Sergio, er ist Kolumbianer, folgt Karins Mercedes in einem Land Cruiser.

Im Odin trinken sie Roederer. Der Erzähler bezahlt zwei Flaschen, um Sergio zu beeindrucken. Dann verabschieden er und Karin sich von dem Paar. Am Parkplatz sehen sie, wie ein Betrunkener gegen die Tür seines Porsches kotzt, während er versucht, das Schloss aufzukriegen.

Am nächsten Tag trinkt der Erzähler im Zug nach Hamburg fünf Flaschen Ilbesheimer Herrlich und denkt darüber nach, wie es war, als die Exkremente aus den Zugtoiletten einfach aufs Gleis fielen und zerstoben. Wer aus einem der Fenster schaute, die man damals noch öffnen konnte, hielt sein Gesicht in den Sprühnebel. In Kassel fielen die Ausscheidungen von einer Brücke, unter der Anwohner ihre Grillfeste feierten. Schlimmer noch soll es unter einer Brücke irgendwo in Belgien oder Luxemburg sein: Da stürzen sich des Öfteren Selbstmörder in die Tiefe.

[…] weil genau diese Brücke bei Selbstmördern so beliebt ist, jedenfalls springen die immer da runter und, genau wie bei der Brücke in Kassel, fallen den Leuten auf die Häuser oder purzeln mitten ins schönste Grillfest. Die Körper sind dann immer ganz zerquetscht, die müssen sie dann mit einer Schaufel zusammenkratzen.

Im Bahnhof Altona nimmt er sich ein Taxi und gibt die Adresse eines in Pöseldorf wohnenden Freundes an. Der Fahrer redet nichts, vermutlich weil er auf Demos geht und der gleichaltrige Fahrgast ein Jackett von Davies & Sons trägt. Der Erzähler nimmt allerdings auch an Demonstrationen teil, nicht weil er sich für Politik interessiert oder glaubt, etwas verändern zu können, sondern weil er die Atmosphäre mag.

Nigel nimmt seinen Besucher mit zu einer Party. Dort trifft der Erzähler auf Anne. Obwohl sie sich erst am Vortag auf Sylt sahen, tut sie so, als kenne sie ihn nicht und redet weiter auf Jürgen Fischer ein, den Chefredakteur eines Lifestyle-Magazins: „Tempo“ oder „Wiener“. Nigel quatscht mit einem Ziegenbart-Acid-Jazz-Hörer, der eine Baseballkappe von Stüssy verkehrt herum auf hat. Ein schwarzes Model steht bei ihnen.

Das Model fasst beide, Nigel und den Ziegenbart um die Schultern, die kann das, weil sie ja viel größer ist als die beiden, sonst wäre sie ja auch kein Model.

Der Ziegenbart verteilt Partydrogen. Auch der Erzähler spült eine Pille mit Prosecco hinunter.

Eine junge Frau, mit der er kurz gesprochen hat, geht ins Bad und schließt nicht ab. Das versteht er als Aufforderung und folgt ihr, aber sie sitzt auf dem Rand der Badewanne und kotzt. Ihm ist auch übel. Er geht wieder hinaus und erinnert sich an seine erste Liebe. Als Sarah ihn ihren Eltern vorstellte, trank er beim Abendessen zu viel und wurde eingeladen, im Gästezimmer zu übernachten. Mitten in der Nacht wachte er auf und merkte, dass er ins Bett gekotzt und geschissen hatte. Da stand er auf und lief davon. Sarah sah er niemals wieder.

Irgendwann stellt der Erzähler fest, dass Nigel nicht mehr da ist. Daraufhin fährt er in einem Taxi zu dessen Wohnung und sperrt mit dem Schlüssel auf, den sein Freund ihm anvertraute. Aus dem Schlafzimmer hört er Geräusche. Er reißt die Türe auf. Nigel liegt nackt auf dem Bett und schleckt zwischen den Beinen des ebenfalls nackten Models, während der auf der Bettkante sitzende Ziegenbart die Brüste der Frau knetet und an Nigels Penis rubbelt.

Das Model fordert ihn zum Mitmachen auf, aber er zieht es vor, seine Sachen zu packen. Ohne sich zu verabschieden, verlässt er die Wohnung und nimmt ein Taxi zum Flughafen. Dort checkt er für die nächste Lufthansa-Maschine nach Frankfurt ein.

[…] laufe ich zu dem Rondell, diesem großen Korb mit den Ballistos und den Salamibrötchen, den die Lufthansa neben der Kaffeemaschine aufgestellt hat, weil die Stewardessen zu faul sind, während des Fluges irgendetwas aufzutischen, und hole mir vier Salamibrötchen und sechs Ballistos und zwei Joghurts von Ehrmann und stopfe sie mir in die Taschen meiner Barbourjacke.

Als ihn ein anderer Reisender entrüstet anschaut, steckt er demonstrativ noch zwei Ballistos, zwei Ehrmann-Joghurts und acht Plastiklöffel ein. Obwohl er im Nichtraucher-Bereich sitzt, zündet er sich eine Zigarette an, und niemand beschwert sich. Dann lässt er sich Kaffee und Bourbon bringen. Die alte Frau neben ihm schlägt ein Buch von Ernst Jünger auf. Der Erzähler liest wenig, und Ernst Jünger schon gar nicht, denn Nigel erzählte ihm einmal, der habe den Krieg verherrlicht. Es beginnt nach Pfirsich zu riechen, und auf seinem Sitz wird es nass: Die Joghurts sind ausgelaufen.

Er erinnert sich, wie er in Salem mit der Schulklasse die Filme „Panzerkreuzer Potemkin“ und „Triumph des Willens“ anschauen musste.

Wobei die Lehrer immer gesagt haben, Eisenstein wäre ein Genie und Riefenstahl eine Verbrecherin, weil die Riefenstahl sich hat einspannen lassen von der Ideologie und der Eisenstein nicht.

In der Paris-Bar in Berlin stieß er einmal auf Wim Wenders. Der stand da mit einem Künstler, der vor allem nackte Männer unter der Dusche malt.

[…] jedenfalls habe ich ihn, Wenders, gefragt, ob er den Anfang seines Films so meinte wie in Triumph des Willens, und er hat nur geglotzt aus seiner blöden roten Werber-Brille und nichts mehr gesagt und sicher gedacht, ich wäre ein kleines Arschloch, das sich wichtig machen will mit Kulturfragen an ihn.

Nach der Ankunft im Rhein-Main-Flughafen zieht er seine Barbourjacke aus, legt sie auf den Fußboden und zündet sie an. Dann geht er zum Taxistand und lässt sich zum Hotel Frankfurter Hof bringen.

Unterwegs sehe ich aus dem Fenster, und ich muss mal wieder erkennen, dass keine Stadt in Deutschland hässlicher und abstoßender ist als Frankfurt, nicht mal Salzgitter oder Herne.

Ob er Alexander besuchen soll? Sie waren zusammen in Salem. Alexanders Eltern kamen bei einem Autounfall ums Leben und hinterließen ein Vermögen, das es Alexander ermöglichte, durch die ganze Welt zu reisen. Der Erzähler greift in seinem Hotelzimmer zum Telefon, aber der Hörer fällt ihm aus der Hand und prallt gegen den Mahagoni-Tisch. Plastikteile splittern ab. Dann kotzt er auch noch einen Schwall auf den Teppich und besudelt seine Kleidung. Er zieht sich aus und geht ins Bad.

Während ich in der Wanne lag, hat irgendjemand das Bett aufgeschlagen, die Kotze vom Teppich weggewischt, das kaputte Telefon ausgewechselt und meine vollgekotzte Kleidung abgeholt. Das finde ich irgendwie wahnsinnig rührend und nett.

Frisch angezogen ruft er ein Taxi, denn er will ins Eckstein.

Als er auf die Duftwürfel im Urinal pisst und der scharfe Geruch aufsteigt, läuft ihm ein angenehmer Schauer über den Rücken.

An der Bar trinkt er Äbbelwoi. Zufällig kommt Alexander herein, läuft jedoch an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten und hängt seine Barbourjacke über eine Stuhllehne, bevor er in den Keller hinuntergeht, wo Techno-Musik wummert. Der Erzähler zahlt, nimmt Alexanders Jacke, zieht sie an und geht.

Im Bord-Treff des Interregio nach Karlsruhe trifft er Matthias Horx, für den er mit Nigel zusammen einmal ein Musical mit dem Titel „Horxiana!“ schreiben wollte. Um nicht mit Horx bis Karlsruhe fahren zu müssen, steigt er bereits in Heidelberg aus.

In der Max Bar lernt er einen Mann namens Eugen kennen. Der nimmt ihn mit zu einer Party in der Villa von Freunden. In einem Zimmer, in dem ein 40-Jähriger unter dem Pullover eines Mädchen herumfummelt, öffnet Eugen ein Tütchen, streut Kokain auf die Hülle einer Mozart-CD und schnupft mit einem silbernen Röhrchen eine Linie. Er drängt seinen Gast, es ihm nachzumachen, legt ihm eine Hand aufs Gesäß und fasst ihm mit der anderen vorn in die Hose. Der Erzähler reißt sich los und verlässt den Raum.

Im Keller sieht er Nadja liegen, eine auf erfrischende Art dumme Frau, mit der er gerade noch redete. Sie ist weggetreten; die Spritze steckt noch im Knöchel. Neben ihr liegt Nigel, dessen Arm mit seinem Ledergürtel abgebunden ist.

Ein Bekannter namens Rollo nimmt den Erzähler in seinem Porsche mit nach München. Sie kennen sich vom Bodensee, aber Rollo war nicht in Salem, sondern in der Waldorf-Schule. Jetzt wohnt er in München-Bogenhausen.

Sie fahren zu einem Rave am Stadtrand.

Wir trinken jeder ein langweilig schmeckendes Bier. Weil wir ordentliche Kleidung tragen, also keine Techno-Stiefel und orangefarbene T-Shirts und Bundeswehr-Hosen, und weil wir keine rasierten Schädel haben und keinen Ring in der Nase und irgendwelche tätowierte Drachen auf dem Nacken, werden wir pausenlos gemustert und prüfend von der Seite angesehen. Das ist aber eigentlich ganz lustig, dass man so durch Erscheinen provozieren kann, und Rollo meint, die Irren hier würden denken, wir seien vom Drogendezernat.

Das Schumanns, das sie gegen 1 Uhr nachts aufsuchen, verlassen sie nach fünf Minuten wieder, weil Maxim Biller dort einen Salon abhält. Im Ksar ist der Neonazi Uwe Kopf. Von dem möchte der Erzähler nicht gesehen werden. Schließlich übernachtet er bei Rollo.

Der nimmt ihn am nächsten Tag mit zu seiner Geburtstagsparty im Elternhaus in Meersburg. Rollos Vater ist in Indien. Seit 20 Jahren spendet er einem Aschram bei Bangalore eine halbe Million pro Jahr. Rollos Mutter befindet sich in einer Klinik bei Stuttgart. Die Villa liegt direkt am See. Bedienstete begrüßen Rollo. Man trägt Abendgarderobe. Karin und Sergio sind auch da; sie waren zwischendurch noch in London.

Als der Erzähler sieht, wie Rollo leicht schwankend allein am Seeufer steht, geht er hin. Rollo weint und murmelt etwas von Schlaftabletten. Sein Freund drückt ihm den Arm und sagt, er hole sich etwas zu trinken. Aber stattdessen packt er seinen Koffer, nimmt Rollos Autoschlüssel und fährt mit dem Porsche los.

Am Flughafen in Zürich legt er die Schlüssel ins Handschuhfach und lässt den Wagen stehen. Dann nimmt er sich ein Zimmer im Hotel Baur au Lac.

Zwei Tage später liest er in der Zeitung, dass ein Millionärssohn während seiner Geburtstagsparty eine Überdosis Valium schluckte und im Bodensee ertrank.

Der Erzähler hält die Filmschauspielerin Isabella Rossellini für die schönste Frau der Welt. Er träumt davon, mit ihr Kinder zu haben und auf einer Insel zu wohnen.

Ich würde ihnen von Deutschland erzählen, von dem großen Land im Norden, von der großen Maschine, die sich selbst baut, da unten im Flachland. Und von den Menschen würde ich erzählen, von den Auserwählten, die im Inneren der Maschine leben, die gute Autos fahren müssen und gute Drogen nehmen und guten Alkohol trinken und gute Musik hören müssen, während um sie herum alle dasselbe tun, nur eben ein ganz klein bisschen schlechter. Und dass die Auserwählten nur durch den Glauben weiter leben können, sie würden es ein bisschen besser tun, ein bisschen härter, ein bisschen stilvoller.
Von den Deutschen würde ich erzählen, von den Nationalsozialisten mit ihren sauber ausrasierten Nacken, von den Raketen-Konstrukteuren, die Füllfederhalter in der Brusttasche ihrer weißen Kittel stecken haben, fein aufgereiht. Ich würde erzählen von den Selektierern an der Rampe, von den Geschäftsleuten mit ihren schlecht sitzenden Anzügen, von den Gewerkschaftern, die immer SPD wählen, als ob wirklich etwas davon abhinge, und von den Autonomen, mit ihren Volxküchen und ihrer Abneigung gegen Trinkgeld.
Ich würde auch erzählen von den Männern, die nach Thailand fliegen, weil sie so gerne mächtig und geliebt wären, und von den Frauen, die nach Jamaica fliegen, weil sie ebenfalls mächtig und geliebt sein wollen. Von den Kellnern würde ich erzählen, von den Studenten, den Taxifahrern, den Nazis, den Rentnern, den Schwulen, den Bausparvertrags-Abschließern, von den Werbern, den DJs, den Ecstasy-Dealern, den Obdachlosen, den Fußballspielern und den Rechtsanwälten.

Während er Hermann Hesse, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt schon in der Schule dämlich fand („entsetzlich langweilige und schlecht geschriebene Sachen“), machte ihm Thomas Mann Spaß. Deshalb fährt er am Abend mit dem Taxi zum Friedhof von Kilchberg und sucht nach dem „blöden Grab“ von Thomas Mann. Aber er findet es nicht.

Am Ufer des Zürichsees fragt er einen Mann mit einem Boot, ob er ihn für 200 Franken über den See rudern würde. Der Mann ist einverstanden, und schon bald erreichen sie die Mitte des Sees.

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Ein zur Schickeria gehörender Mann Ende 20 reist ziellos von Party zu Party durch Deutschland, von Sylt bis zum Bodensee. Er lässt sich treiben und ist nicht in der Lage, mit anderen ernsthaft zu kommunizieren. Worüber sollte er auch reden, wo ihn im Grunde nichts interessiert? Er liest keine Bücher, informiert sich nicht über Politik und kümmert sich nicht um ökologische Fragen. Ein Rest von Begeisterung glimmt nur auf, wenn er sich vorstellt, mit Isabella Rosselini Kinder zu haben und auf einer Insel zu leben. Ansonsten langweilt er sich, raucht, trinkt [Alkoholkrankheit] und kotzt. Am Ende lässt er sich auf einen See hinaus rudern. Ob Christian Kracht damit auf den Fährmann Charon auf dem Styx anspielt, bleibt offen.

„Faserland“ ist keine psychologische Studie, keine Gesellschaftskritik, sondern ein Abbild. Bemerkenswert ist, dass die Reise ausschließlich durch Westdeutschland (und in die Schweiz) führt, so als habe es die Wiedervereinigung nicht gegeben. Christian Kracht analysiert nichts und denkt auch nicht über Lösungsansätze nach. Die Road Novel veranschaulicht die Befindlichkeit einer dekadenten „Generation Golf“ (Florian Illies), die in einer durch Markennamen definierten Konsumwelt lebt, in der es auf Äußerlichkeiten ankommt. Die dazugehörenden Yuppies sehen keinen Sinn in ihrem Leben, begehren aber auch nicht gegen die Eltern oder das System auf, sondern versuchen die innere Leere, ihre Verlorenheit und Trostlosigkeit durch Sex, Drogen und Alkohol zu überspielen.

Wir haben es bei der „Generation Golf“ mit einem monströsen kultursoziologischen Sonderfall zu tun: einer Jugend, die fast ausschließlich von und in dem für sie bestimmten Segment der Konsumkultur sozialisiert wurde, vom Fernsehen, von Popmusik, von Klamotten und Markenprodukten. […]
Doch darüber hinaus ist der Jugendstil des Jahres 2000 eine ganz logische Antwort auf die durch Medien, Konsum und Musik vollkommen künstlich gewordene Außenseite der Wohlstandsgesellschaft, deren Dinge und Produkte zu immer feiner justierten sozialen Signalen wurden. Alles ist Botschaft in dieser Welt, nichts dient allein dem Gebrauch. […] Es ist in einer solchen Welt ganz konsequent, die Entscheidung zwischen einer blauen und einer grünen Barbour-Jacke für schwieriger zu erklären als die zwischen CDU und SPD und Demonstrationen danach zu bewerten, ob die mitmarschierenden Frauen schicke Spaghettiträger anhaben. […]
Das Leben dieser robusten, wohlhabenden und wählerischen Mittelstandsjugend wirkt seltsam kampflos. Das Geld ist ererbt oder in der Jugendbranche der Medien rasch verdient. Soziale oder politische Ziele sind ihr pädagogischer Kitsch, für den keine Zeit bleibt. Das Bestehende ist der Steinbruch für den Genuss im Stil der Zeit.
(Gustav Seibt: Aussortieren, was falsch ist. Wo wenig Klasse ist, da ist viel Generation. Eine Jugend erfindet sich, „Die Zeit“, 2. März 2000)

Die Wiederholungen in „Faserland“ betonen die Monotonie des Lebens dieser Generation, evozieren aber auch eine Atmosphäre der Sinnlosigkeit und des Überdrusses. Da bleibt es nicht aus, dass man sich als Leser zumindest passagenweise langweilt, zumal es in „Faserland“ an guten Beobachtungen, originellen Einfällen und provokanten Formulierungen mangelt. Esprit würde allerdings nicht zu der Romanfigur des Ich-Erzählers passen.

Christian Kracht bedient sich einer schnoddrigen, mit Grammatik- und Denkfehlern durchsetzten Pseudo-Umgangssprache, die von Anke S. Biendarra in der britischen Literaturzeitschrift „German Life and Letters“ als „literarisierte Oralität“ bezeichnet wird (Der Erzähler als „popmoderner Flaneur“ in Christian Krachts Roman Faserland, GLL 55/2002).

[…] in München haben die Mädchen wegen dem Föhn so ein seltsames inneres Leuchten.

Ich setze mich also auf eine der Bänke, wo um diese Uhrzeit immer die ganzen Menschen schlafen, die aus Übersee kommen.

Kein Hemdenmacher schafft es, so einen wunderbaren Stoff herzustellen.

[…] und es hier natürlich schon richtig Sommer ist, ich meine, links und rechts blühen die Apfelbäume […]

Augenscheinlich hat Christian Kracht sich an „Der Fänger im Roggen“ (1951) von Jerome David Salinger, „Unterwegs“ (1957) von Jack Kerouac und „Unter Null“ (1985) von Bret Easton Ellis orientiert. Der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler betrachtet „Faserland“ als „Gründungsphänomen“ einer (zweiten) deutschen Popliteratur (Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. C. H. Beck 2002). Im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ wird ihm widersprochen:

Christian Krachts Deutschlanddurchquerung „Faserland“ ist das am meisten missverstandene Buch der Neunzigerjahre. Es wurde mit den falschen Argumenten gemocht und mit den richtigen Worten kritisiert; in der Kritik steckte kaum etwas Wahres. Das Buch traf seine Leser so unvorbereitet, daß sie erstaunt waren, wie lustig diese Geschichten aus Party-Deutschland klangen, von Fisch-Gosch, Champagner und Scampis auf Sylt, von bunten Pillen, schwulen Burschenschaftlern und schwarzen Models in Hamburg, Frankfurt und Heidelberg, von kleinen Clubs in München und großen Festen am Bodensee – und wenn es lustig klang, dann musste das wohl Pop sein, schließlich, das wussten sie aus den bunten Magazinen, schließlich war jetzt alles Pop. Aber mit Pop, was auch immer das war, hatte dieses Buch herzlich wenig zu tun, und alle, die in der gewissen Zärtlichkeit, mit der Kracht die Oberfläche der Dinge streichelte, nur die Affirmation herauslasen, konnten einfach nicht entziffern, dass sich das Leiden an der Welt heute anders buchstabiert. (FAZ, 17. März 2002)

Die Kritiker waren über „Faserland“ geteilter Meinung. Olaf Grabienski fand unter 42 zwischen Februar und September 1995 verfassten Rezensionen 12 eher positive und 21 mehr negative (Christian Krachts FASERLAND. Eine Besichtigung des Romans und seiner Rezeption, Universität Hamburg, 2001). Zu den positiven Besprechungen gehört eine in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“:

Im Denken und Fühlen reklamiert Kracht in dandyhafter Anmaßung die Autobiografie einer Zeit für sich: Das Bild, das er von Deutschland zeichnet, ist so präzise wie einseitig und gibt im Kern doch das wieder, was Jahre später in blinder Häme über die Literatur ausgeschüttet wurde, die als Reaktion auf den Befreiungsschlag Krachts entstand – Kracht erzählt vom Ende einer Welt, noch bevor der sogenannte Mainstream überhaupt erkannt hatte, dass es diese Welt gab, geschweige denn, dass sie schon wieder vorbei war. Krachts Kunst ist, die Zeitnähe seiner Erzählung mit einem Gefühl von existenzieller Verlassenheit zu verbinden. […]
Es geht in „Faserland“ um nicht weniger als die Möglichkeit von Freiheit. (FAZ, 17. März 2002)

Hier noch ein Beispiel für das andere Ende des Meinungsspektrums:

Da schreibt ein widerlich arroganter Schnösel, der sein „Zeitgeist“-Dandytum schon für Literatur hält und seine banalen Reisenotizen für erbarmungslos scharfe Beobachtungen. (Martin Halter, Zürcher Tages-Anzeiger, hier zitiert nach Sebastian Hüttl: Ausarbeitung zu Christian Krachts „Faserland“, GRIN Verlag 2011, S. 4)

Vivica Bocks schrieb eine Bühnenfassung des Romans „Faserland“.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012
Textauszüge: © Verlag Kiepenheuer & Witsch

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