Katie Kitamura : Trennung

Trennung
Originalausgabe: A Separation Riverhead Books, New York 2017 Trennung Übersetzung: Kathrin Razum Carl Hanser Verlag, München 2017 ISBN: 978-3-446-25445-9, 251 Seiten ISBN: 978-3-446-25602-6 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Ich-Erzählerin und ihr Ehemann Christopher Wallace trennten sich. Noch wissen Freunde und Verwandte nichts davon, auch Isabella Wallace nicht, als sie ihre Schwiegertochter anruft und ihr beunruhigt mitteilt, ihr Sohn habe mehrere Nachrichten auf der Mailbox unbeantwortet gelassen. Dass er sich seit drei Wochen in Griechenland aufhält, erfährt die Ehefrau erst jetzt, aber sie fliegt nach Athen, um ihn zu suchen – und ihm die Scheidung vorzuschlagen ...
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Kritik

Leitmotiv des Romans "Trennung" von Katie Kitamura ist der Gegensatz zwischen Authentizität und Rolle, Echtheit und Vortäuschung. Beim Lesen verfolgen wir die Gedanken und Vorstellungen der genau beobachtenden Ich-Erzählerin.
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Ein Anruf der Schwiegermutter

Die Ich-Erzählerin, eine Übersetzerin, deren Namen wir nicht erfahren, und ihr acht Jahre älterer Ehemann Christopher Wallace, ein Schriftsteller aus einer reichen Londoner Familie, trennten sich. Obwohl dies bereits vor einigen Monaten geschah und die Frau inzwischen bei dem Journalisten Yvan eingezogen ist, wissen Freunde und Verwandte noch nichts vom Scheitern der insgesamt achtjährigen Beziehung.

Isabella Wallace wundert sich deshalb darüber, dass ihr Sohn ohne seine Frau nach Griechenland gereist ist. Sie ruft ihre Schwiegertochter an, weil sie Christopher bereits drei Nachrichten auf seine Mailbox gesprochen, aber keine Antwort erhalten hat. Das beunruhigt sie.

Es begann mit einem Anruf von Isabella. Sie wollte wissen, wo Christopher war, was mich in die unangenehme Situation brachte, ihr sagen zu müssen, dass ich es nicht wusste. Für sie muss das unglaubhaft geklungen haben. Ich sagte ihr nicht, dass Christopher und ich uns vor einem halben Jahr getrennt hatten und ich seit fast einem Monat nicht mehr mit ihrem Sohn gesprochen hatte.

Isabella besorgt ihrer Schwiegertochter kurzerhand ein Flugticket London-Athen für den folgenden Tag, teilt ihr mit, welches Hotel Christopher bei seiner Abreise vor drei Wochen erwähnte und erwartet von ihr, dass sie nach ihm schaut. Die Jüngere fügt sich, weil sie ohnehin beabsichtigt, Christopher in einem persönlichen Gespräch um die Scheidung zu bitten.

Auf der Halbinsel Mani

Die Taxifahrt vom Eleftherios-Venizelos-Flughafen Athen zum Hotel im Fischerdorf Gerolimenas auf der Halbinsel Mani dauert fünf Stunden. Sie nimmt ein Einzelzimmer und erfährt, dass Christopher Wallace die beste Suite bewohnt, aber von einem mehrtägigen Ausflug noch nicht zurückgekommen ist.

An Christophers geplantem Abreisetag muss die Suite für ein Paar vorbereitet werden, das in diesen Räumen die Flitterwochen verbrachte und dort nun einen Hochzeitstag feiern möchte. Das Hotelpersonal packt deshalb die Sachen des abwesenden Gastes und deponiert alles im Gepäckaufbewahrungsraum.

Christopher Wallace war noch keine 30, als er ein Buch über die gesellschaftliche Bedeutung der Musik veröffentlichte und es damit kurz auf die Bestsellerliste schaffte. Seit einiger Zeit steht er für ein Buch über Trauer unter Vertrag. Vielleicht reiste er deshalb nach Mani, denn es handelt sich um eine der wenigen Regionen, in denen es noch Klageweiber gibt, einen Brauch, bei dem die Trauer externalisiert wird.

Als der Fahrer Stefano, den die Ich-Erzählerin für einen Ausflug zu einer kleinen Kirche gemietet hat, fragt, was sie in Mani mache, schlüpft sie spontan in die Rolle ihres Noch-Ehemanns und behauptet, sie erforsche Trauerrituale, um darüber ein Buch zu schreiben. Stefano ist begeistert und bedauert nur, dass keine Beerdigungen anstehen. Wäre die Engländerin etwas früher gekommen, hätte sie an Trauer­feiern teilnehmen können, denn bei gewaltigen Waldbränden gab es eine ganze Reihe von Toten. Er überredet sie zu einem Besuch bei seiner Großtante, die als eines der besten Klageweiber der Gegend gilt. Die Greisin gibt ihr am Küchentisch eine Probe des Gesangs und weint dabei.

Zurück im Hotel, erfährt die Ich-Erzählerin, dass man ihren Mann am Vortag mit einer anderen Frau am Kap Tenaro gesehen habe.

Das wundert sie nicht, denn seine sexuellen Abenteuer waren der Grund für das Zerwürfnis. Aufgrund der Bestürzung der Hotelangestellten Maria über die Nachricht nimmt sie an, dass die 20-Jährige ebenfalls mit dem doppelt so alten Gast im Bett war. In der Hotelhalle wird sie zufällig Zeugin einer Aus­einander­setzung zwischen Maria und dem Fahrer Stefano, von dem sie weiß, dass er die junge Angestellte erfolglos umwirbt. Die Engländerin versteht zwar die griechische Sprache nicht, ahnt jedoch, dass es um Maria und ihre Affäre mit Christopher geht. Und als sie Maria am Abend fragt, gibt diese unumwunden zu, mit Christopher geschlafen zu haben.

Eine unvorhergesehene Wendung

Am nächsten Tag, an dem die Ich-Erzählerin eigentlich abreisen wollte, kommen zwei Polizisten ins Hotel und überbringen ihr die Nachricht, dass man Christopher Wallaces Leiche in einem Straßengraben gefunden habe. Jemand schlug ihm den Schädel ein und raubte ihn aus. Statt sich zum Flughafen fahren zu lassen, identifiziert die Witwe den Toten und verständigt dann ihre Schwiegermutter.

Mark und Isabella Wallace treffen am nächsten Tag ein. Sie wollen den Leichnam mit nach London nehmen.

Ihre Schwiegertochter hält es für möglich, dass Christopher nicht Marks leiblicher Sohn war, sondern bei einem Seitensprung Isabellas gezeugt worden war, denn die beiden Männer haben sich nie ähnlich gesehen.

Die Ich-Erzählerin argwöhnt, dass Stefano ihren Ehemann aus Eifersucht ermordet haben könnte. Allerdings unterstellt sie Christopher, dass Maria nicht die einzige Frau auf Mani war, mit der er schlief. Es kämen also auch noch andere eifersüchtige Männer als Mörder in Frage. Dem Polizeichef sagt sie jedoch nur, dass Christopher Wallace mit einer anderen Frau am Kap Tenaro gesehen worden sei. Das ist der Polizei bereits bekannt.

„[…] wir wissen von dieser Frau, es war nichts Ernstes, er hat sie am Kap Tenaro zurückgelassen, und dort ist sie noch. Es gibt keinen Ehemann, keinen Vater oder Bruder, und die Frau selbst hat ein perfektes Alibi, nämlich einen anderen Mann.“

Die Ich-Erzählerin verrät auch nach ihrer Rückkehr niemandem außer Yvan, dass ihre Ehe mit Christopher gescheitert war. Es ist ihr unangenehm, ein Vermögen zu erben, aber sie kann es nicht ablehnen, ohne aus der Rolle zu fallen.

Im Mordfall Christopher Wallace stellt die griechische Polizei die Ermittlungen nach einiger Zeit ergebnislos ein.

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Leitmotiv des Romans „Trennung“ von Katie Kitamura ist der Gegensatz zwischen Authentizität und Rolle, Echtheit und Vortäuschung. Die Inszenierung endet erst mit dem Tod; dann lässt sich die Mimik nicht mehr ändern. Das erfährt die Ich-Erzählerin, als sie einen Toten auf dem Polizeirevier identifiziert und in das verzerrte Gesicht blickt.

Aus den Gedanken und Überlegungen, aber auch Erinnerungen, Vorstellungen und Spekulationen der Ich-Erzählerin ist „Trennung“ komponiert. Gefühle nehmen keinen großen Raum ein, und für Sentimentalität ist gar kein Platz. Katie Kitamura beobachtet vor allem ihre Hauptfigur sehr genau und bleibt dabei ebenso nüchtern wie distanziert.

Dass die ohnehin karge Gegend von Waldbränden verwüstet ist und noch immer ein übler Geruch über dem Landesinneren hängt, korrespondiert mit dem Innenleben der Charaktere. Dazu passen auch die wilden, aber nicht aggressiven Hunde, von denen die Protagonistin einmal auf ihrem Weg ins Dorf begleitet wird.

Zwar wird jemand ermordet, aber „Trennung“ ist alles andere als ein Kriminalroman. Das Verbrechen bleibt denn auch unaufgeklärt.

Es heißt, die 1980 in London geborene US-amerikanische Schauspielerin Katherine Boyer Waterston habe bereits die Filmrechte für „Trennung“ erworben und wolle die Hauptrolle übernehmen.

Katie M. Kitamura wurde 1979 in Kalifornien als Kind japanischer Einwanderer geboren. Sie studierte an der Princeton University und promovierte 2005 über „The Aesthetics of Vulgarity and the Modern American Novel“. Sie arbeitet als Journalistin und debütierte 2009 mit dem Roman „The Longshot“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag

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Eva Menasse schildert die Personen und deren Handlungsweisen in "Lässliche Todsünden" so lebendig, dass ein plastisches Bild von der jeweiligen Situation entsteht. Ihr Stil ist einfach, aber nicht einfallslos.
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