Franz Kafka : In der Strafkolonie

In der Strafkolonie
In der Strafkolonie Manuskript: 1914 Erstausgabe: Verlag Kurt Wolff, Leipzig 1919
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Im Rahmen seines Besuches bei der Strafkolonie soll der hoch angesehene Forschungsreisende einer Exekution beiwohnen. Ein als Richter und Henker zugleich amtierender Offizier erläutert ihm, dass den Delinquenten das Urteil nicht verkündet, sondern von einer eigens dafür konstruierten Maschine immer tiefer in die Haut geschrieben wird. ...
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Kritik

Ein deformiertes Justizwesen steht im Mittelpunkt der surrealen Erzählung "In der Strafkolonie". Franz Kafka beschreibt es im Stil eines sachlichen Reiseberichts: detailliert und ohne erkennbare Gefühlsregung.
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Im Rahmen seines Besuches bei der Strafkolonie auf einer Insel folgt der hoch angesehene Forschungsreisende der Einladung des Kommandanten, einer Exekution beiwohnen. Der gefesselte Verurteilte wird von einem müden Soldaten bewacht, während ein Offizier die Exekutionsmaschine vorbereitet.

Übrigens sah der Verurteilte so hündisch ergeben aus, dass es den Anschein hatte, als könnte man ihn frei auf den Abhängen herumlaufen lassen und müsse bei Beginn der Exekution nur pfeifen, damit er käme.

Auf Nachfrage des Besuchers erläutert der Offizier, der in der Strafkolonie als Richter und Henker zugleich amtiert, den Anlass der bevorstehenden Exekution.

Ein Hauptmann hat heute morgen die Anzeige erstattet, dass dieser Mann, der ihm als Diener zugeteilt ist und vor seiner Türe schläft, den Dienst verschlafen hat. Er hat nämlich die Pflicht, bei jedem Stundenschlag aufzustehen und vor der Tür des Hauptmanns zu salutieren. Gewiss keine schwere Pflicht und eine notwendige, denn er soll sowohl zur Bewachung als auch zur Bedienung frisch bleiben. Der Hauptmann wollte in der gestrigen Nacht nachsehen, ob der Diener seine Pflicht erfülle. Er öffnete Schlag zwei Uhr die Tür und fand ihn zusammengekrümmt schlafen. Er holte die Reitpeitsche und schlug ihm über das Gesicht. Statt nun aufzustehen und um Verzeihung zu bitten, fasste der Mann seinen Herrn bei den Beinen, schüttelte ihn und rief: „Wirf die Peitsche weg, oder ich fresse dich.“ — Das ist der Sachverhalt. Der Hauptmann kam vor einer Stunde zu mir, ich schrieb seine Angaben auf und anschließend gleich das Urteil. Dann ließ ich dem Mann die Ketten angelegen. Das alles war sehr einfach. Hätte ich den Mann zuerst vorgerufen und ausgefragt, so wäre nur Verwirrung entstanden. Er hätte gelogen, hätte, wenn es mir gelungen wäre, die Lügen zu widerlegen, diese durch neue Lügen ersetzt und so fort.

Eine Verteidigung der Angeklagten ist deshalb auch nicht vorgesehen. Das Urteil wird ihnen nicht verkündet, sondern gewissermaßen auf den Leib geschrieben. Zu diesem Zweck erfand und konstruierte der verstorbene Vorgänger des jetzigen Kommandanten die meterhohe Exekutionsmaschine. Mit besonderem Eifer zeigt und erklärt der Offizier den Apparat, dessen Nadeln den Verurteilten ihre Verfehlung immer tiefer in die Haut schreiben, bis sie unter Schmerzen begreifen, was sie getan haben. Zwölf Stunden dauert dieser Vorgang. Dann wirft die Maschine den toten Körper des Verurteilten aus.

Nachdem der Offizier das Gerät entsprechend eingestellt hat, wird er Verurteilte entkleidet und nackt in die Maschine gelegt.

Der Forschungsreisende missbilligt die Inhumanität dieses Verfahrens, aber er ist kein Bürger des Staates, zu dem die Strafkolonie gehört. Wird man aber auf die Kritik eines Fremden hören?

Weil der neue Kommandant der Maschine skeptisch gegenüberstehe, erlaube er nur in Ausnahmefällen die Anschaffung eines Ersatzteils, vertraut der Offizier dem Besucher an. Um einen Grund für die Abschaffung des Exekutionsverfahrens zu bekommen, hoffe der Kommandant vermutlich auf kritische Äußerungen des Forschers. Der Offizier drängt den Besucher, nichts Negatives über das Verfahren zu sagen, aber dieser verhehlt ihm nicht, wie er darüber denkt.

Als der Offizier merkt, dass er den Besucher nicht überzeugt hat, lässt er den Verurteilten frei und legt eine neue Schablone in die Maschine. „Sei gerecht!“, wird sie als nächstes schreiben. Der Offizier zieht seine Uniform aus und legt sich nackt in die Maschine, die auch gleich zu arbeiten anfängt. Plötzlich hebt sich ein Deckel und ein Zahnrad wird herausgedrückt. Ein weiteres folgt. Ein Zahnrad nach dem anderen rollt in den Sand.

Der Reisende wollte eingreifen, möglicherweise das Ganze zum Stehen bringen, das war ja keine Folter, wie sie der Offizier erreichen wollte, das war unmittelbarer Mord.

Nach wenigen Minuten wirft die Maschine den Leichnam aus.

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Ein deformiertes Justizwesen steht im Mittelpunkt dieser surrealen Erzählung. Franz Kafka beschreibt es im Stil eines sachlichen Reiseberichts: detailliert und ohne erkennbare Gefühlsregung, aus der Perspektive eines unbeteiligten Forschungsreisenden, dem ein Offizier gegenübersteht, der von einer Exekutionsmaschine schwärmt und von ihrem Sinn so überzeugt ist, dass er sich am Ende selbst von ihr töten lassen will, um den Besucher zu überzeugen. Aber da gerät die Maschine außer Kontrolle.

Mehrere Male wählte Franz Kafka die Erzählung „In der Strafkolonie“ für eine Autorenlesung. Dabei fielen einige seiner Zuhörerinnen und Zuhörer in Ohnmacht.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Textauszüge: © Schocken Books, New York

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