Aldous Huxley : Zeit muss enden

Zeit muss enden
Originalausgabe: Time Must Have a Stop Chatto & Windus, London 1945 Zeit muss enden Übersetzung: Herberth E. Herlitschka Piper Verlag, München 1961 Piper Taschenbuch, München 1989 ISBN: 3-492-11046-0, 385 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Als Sebastian Barnack zu einer festlichen Party eingeladen wird, gerät er in Verlegenheit, denn er besitzt keinen Abendanzug. Sein Vater hält alles außer billiger Konfektionskleidung für Luxus und Symbole der Klassengesellschaft. Die Sommerferien, an deren Ende die Party stattfinden soll, verbringt Sebastian bei einem Onkel. Der verspricht, mit ihm zum Schneider zu gehen. Aber am Abend erliegt er einem Herzinfarkt. Wie soll Sebastian nun an ein Dinnerjackett kommen?
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Kritik

Aldous Huxley erzählt in "Zeit muss enden" eine sorgfältig komponierte Geschichte mit tragikomischen Wendungen und vollzieht dabei die Entscheidungen des Protagonisten differenziert nach.
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London 1928. Der siebzehnjährige, Gedichte schreibende Schüler Sebastian Barnack lebt meistens bei seinem Onkel Fred und seiner Tante Alice Poulshot, denn seine Mutter Rosie verließ die Familie, als er noch klein war, und sein Vater John ist als politisch engagierter Journalist oft monatelang auf Reisen.

Besonders eng ist Sebastians Verhältnis mit seiner gleichaltrigen Cousine Susan. Um ihr zu imponieren, erzählt er ihr von seinem Liebesleben mit einer verführerischen Frau namens Mary Esdaile, die es allerdings nur in seiner Fantasie gibt. Er erfand sie nach einer demütigenden Erfahrung mit einer Prostituierten.

Als er Susan kurz vor Beginn der Sommerferien von der Klavierstunde abholt, bietet ihm der Musiklehrer Dr. Pfeiffer feixend eine Zigarre an – und erinnert ihn damit ans letzte Mal, als Sebastian sich überreden ließ, eine Zigarre zu rauchen und ihm daraufhin übel wurde. Auf der Straße begegnen die beiden Siebzehnjährigen Tom Boveney, einem Mitschüler Sebastians, der zu einem Dinner im Savoy und einer Revue in einem Nachtlokal eingeladen hat. Sebastian sagte bereits mit der Begründung ab, er verbringe die anstehenden Sommerferien bei einem Onkel in Florenz und sei deshalb zum Zeitpunkt des Herrenabends nicht in London. Nun teilt ihm Tom freudestrahlend mit, dass er die Party eigens aufs Ende der Ferien in vier Wochen verschoben habe. Da bleibt Sebastian nichts anderes übrig, als die Einladung anzunehmen. Aber er besitzt keinen Abendanzug, denn sein Vater besteht aus politischer Überzeugung auf billiger Konfektionskleidung; alles andere hält er für Luxus und Symbole der Klassengesellschaft.

Bevor John Barnack nach Ägypten abreist, bittet ihn sein Sohn erneut um ein Dinnerjackett, aber damit hat er auch diesmal keinen Erfolg.

Niedergeschlagen fährt er in die Toskana zu seinem Onkel Eustache, dem Bruder seines Vaters und seiner Tante Alice.

Eustache Barnack gab vor dreiundzwanzig Jahren eine vielversprechende politische Karriere auf, heiratete zum Entsetzen seines sozialistischen Bruders eine reiche Witwe und setzte sich in Florenz zur Ruhe. Amy starb nach fünf Jahren Ehe und hinterließ Eustache ein beträchtliches Vermögen. In diesem Sommer ist auch seine sechsundachtzig Jahre alte Schwiegermutter, Mrs Gamble, mit ihrer jungen, attraktiven Vorleserin Veronica Thwale bei ihm zu Besuch.

Kurz vor dem Eintreffen seines Neffen ist Eustache mit Laurina Acciaiuoli verabredet. Sie war seine Geliebte und sehr schön, aber inzwischen wird sie von Arthritis geplagt und jammert die ganze Zeit. Eustache trifft sich nur noch aus Anstand mit ihr. Unterwegs begegnet er zufällig der Prostituierten Mimi, mit der er des Öfteren zusammen ist. Nach kurzem Zögern fährt er mit in ihre Wohnung und ruft von dort Laurina an, um mit der Begründung abzusagen, er sei wegen einer gebrochenen Brücke beim Zahnarzt.

Am Bahnhof wird Sebastian von seinem Onkel abgeholt und dem befreundeten Buchhändler Bruno Rontini vorgestellt, der nach Arezzo unterwegs ist. Als sie das Geschäft des Schneiders Rossi passieren, kündigt Eustache seinem Neffen an, er werde ihm das gewünschte Dinnerjackett während der Ferien machen lassen.

Abends sitzen Eustache und sein Neffe zusammen.

„Du siehst selbstverständlich ein […], dass du stets enttäuscht sein wirst?“ [sagt der Onkel]
„Wovon?“
„Von Weibern. Von Unterhaltungen. Von Erlebnissen im Allgemeinen. Niemand, der irgendeine Art schöpferischer Vorstellungsgabe besitzt, kann etwas andres als enttäuscht sein vom wirklichen Leben.“

Sebastian fühlt sich ernst genommen und liest seinem Onkel eines seiner Gedichte vor. Eustache bietet ihm im Tausch für die schriftliche Fassung eine der beiden Zeichnungen von Edgar Degas, die er kürzlich von dem Kunsthändler Gabriel Greuil erwarb.

Der für Sebastian ungewohnte Alkoholgenuss bewirkt, dass er müde wird und im Lehnstuhl einschläft, während sein Onkel die Toilette aufsucht. Dort bricht Eustache mit einem Herzinfarkt zusammen und ist nicht mehr in der Lage, hörbar um Hilfe zu rufen.

Als Sebastian aufwacht, nimmt er an, sein Onkel sei zu Bett gegangen und legt sich ebenfalls schlafen.

Am anderen Morgen wird Eustaches Leiche gefunden.

Da begreift Sebastian, dass er weder das Dinnerjackett noch den Degas bekommt. In seiner Verzweiflung nimmt er die versprochene Zeichnung heimlich an sich und verkauft sie Gabriel Greuil, der sich von ihm von 1000 auf 2200 Lire hochhandeln lässt, was Sebastian mit Stolz erfüllt. Mit dem Geld geht er zum Schneider Rossi und gibt ein Dinnerjackett in Auftrag.

Da Eustache keine eigenen Kinder hat, wird er von seiner Stieftochter Daisy beerbt. Nach dem frühen Tod ihres Vaters war ihre Mutter Eustaches Frau geworden und fünf Jahre später gestorben. Daisy hatte einen Mann namens Francis Ockham geheiratet und mit ihm einen Sohn bekommen. Aber nach vierzehn Jahren Ehe verlor sie Francis und Frankie durch einen Badeunfall.

Daisy Ockham reist an und bringt den Rechtsanwalt Tendring mit, der sofort damit beginnt, akribisch das Inventar aufzulisten.

Der Anblick Sebastians erinnert sie an Frankie, und sie drängt ihm all ihre Mutterliebe auf. Als er ihr von Tom Boveneys Einladung und dem Dinnerjackett erzählt, das ihm sein Onkel machen lassen wollte, tut ihm ihr Mitleid gut. Daisy verspricht, mit ihm zum Schneider zu gehen. Dadurch gerät Sebastian in Verlegenheit, denn er glaubt, es würde sie kränken, wenn sie von dem Geschenk seines Onkel und seinem bereits erfolgten Besuch beim Schneider erführe.

Tendring findet eine Quittung über den Kaufbetrag für zwei Degas-Zeichnungen, die Eustache von Gabriel Greuil erwarb, und stellt fest, dass nur eine davon vorhanden ist. Jemand scheint die 7000 Lire (!) teure Zeichnung gestohlen zu haben! Sebastian wagt es nicht, den Irrtum aufzuklären. Wer würde ihm schon glauben, dass es sich um ein Geschenk handelte? Veronica Thwale lenkt den Verdacht auf eine junge Bedienstete. Weil sie Sebastian dabei bedeutungsvoll ansieht, befürchtet er, dass sie ihn beobachtete, als er die Zeichnung wegnahm.

Abends schlüpft sie im Dunkeln zu ihm ins Bett und verführt ihn. Über das Kunstwerk reden sie nicht.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Sebastian sieht nur einen Ausweg. Er muss die Zeichnung zurückkaufen und sie wieder auftauchen lassen, so als habe man sie nur übersehen. Nachdem er Bruno Rontini ins Vertrauen gezogen und um Hilfe gebeten hat, geht der Buchhändler zu Gabriel Greuil. Eine Stunde später kommt er mit der Zeichnung zurück, deutet aber an, dass er mit dem Kunsthändler in einen heftigen Streit geriet.

Mit der Absicht, die Zeichnung zurückzulegen und Mrs Ockham alles zu beichten, kehrt Sebastian ins Haus seines verstorbenen Onkels zurück. Zu seiner Überraschung sind Gabriel Greuil und seine Frau da. Daisy Ockham bat ihn wegen der verschwundenen Zeichnung vorbeizukommen. Der Kunsthändler erkennt das Packpapier, in dem der Degas eingeschlagen ist und verkündet laut, der Junge habe das vermisste Kunstwerk offenbar gefunden. Kleinlaut behauptet Sebastian, das Blatt hinter der Hausapotheke in der Toilette entdeckt zu haben, in der sein Onkel starb.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen fährt er sofort zu Bruno Rontini. Der wird gerade von zwei Polizisten abgeführt und gibt ihm ein Zeichen, so zu tun, als kenne er ihn nicht. Carlo Malpighi, ein Freund des verhafteten Buchhändlers, klärt Sebastian darüber auf, dass Greuil Rontini nach der Auseinandersetzung am Vortag als politischen Gegner der Regierung Mussolini denunzierte. Sebastian ist also schuld daran, dass Bruno Rontini eingesperrt wird.

Aber damit nicht genug: Als er ins Haus seines Onkels zurückkommt, weint Mrs Gamble über ihren toten Schoßhund. Der wurde offenbar aus Rache für die falsche Beschuldigung des Mädchens vergiftet. Daisy Ockham ist bereits unterwegs, um Mrs Gamble einen neuen Hund zu kaufen.

Inzwischen traf ein Telegramm ein. John Barnack kommt vorzeitig aus Ägypten zurück, um bei einer Wahl in England zu kandidieren. Sebastian muss seinen Ferienaufenthalt in Florenz abbrechen und seinen Vater in Genua abholen. Für den Tag, an dem Sebastian die Stadt verlässt, war die erste Anprobe seines Dinnerjacketts geplant. Er hat nun gar nichts mehr.

Mrs Gamble ruft bei ihren Séancen immer wieder ihren Schwiegersohn herbei. Auf diese Weise wird Eustache sich vorübergehend als Geist seiner selbst bewusst und hört die Stimmen der Teilnehmer. In diesen Situationen sieht er die Zukunft voraus, so beispielsweise auch, wie Gabriel Greuil mit seiner Frau, dem Sohn und vielen anderen auf der Flucht ist. Der Kunsthändler schiebt einen mit Gemälden, Silber und Jadefiguren vollgepackten Kinderwagen, und seine Frau keucht unter der Last einer blauen Maroquin-Reisekassette und ihres Sealskinmantels. Flugzeuge greifen den Flüchtlingstreck an. In dem Gedränge kippt der Kinderwagen um. Greuil heult wie ein Irrsinniger. Seine Frau stürzt und wird vor den Augen ihres Kindes von einem Lastwagen totgefahren.

Am Jahreswechsel 1943/44 hängt Sebastian Barnack seinen Erinnerungen nach. Mit einem Stipendium und finanzieller Unterstützung Daisy Ockhams studierte er in Oxford und wurde Dichter. Er denkt an seine von ihm verlassene, bei einer Fehlgeburt gestorbene Ehefrau Rachel. Jim Poulshot, der Sohn von Onkel Fred und Tante Alice, fiel in Malaya, das Haus der Familie Poulshot in London wurde durch Brandbomben zerstört, Fred verfiel dem Wahnsinn. Sebastians Cousine Susan hat drei Kinder, und ihr Ehemann Kenneth ist im Krieg im Mittleren Osten. Sebastian erinnert sich auch, wie er den nach langer Haft todkranken Bruno Rontini pflegte, bis dieser nach fünfzehn Wochen starb. Er blättert in seinen Aufzeichnungen, die sich im Lauf der Jahre ansammelten. Da heißt es beispielsweise:

Zur großen Überraschung der Neuhumanisten und der liberalen Kirchenangehörigen hinterließ die Abschaffung Gottes eine wahrnehmbare Leere. Aber die Natur verabscheut ein Vakuum. Nation, Klasse und Partei, Kultur und Kunst drangen sogleich ein, um die leere Nische zu füllen. Für Politiker und diejenigen von uns, die zufällig mit einem Talent geboren wurden, waren die neuen Pseudoreligionen äußerst profitable Aberglauben, sind es noch immer und werden es (bis sie das ganze Gebäude der menschlichen Gesellschaft zerstört haben werden) auch bleiben.

Überraschend kommt sein Vater zu ihm und bleibt für eine Nacht. Das ist der Beginn einer Aussöhnung.

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Doch Denken ist des Lebens Sklav, das Leben / Der Narr der Zeit; und Zeit, die messend schaut / Die ganze Welt, muss enden.

Dieses Zitat aus dem Stück „Heinrich IV.“ von William Shakespeare (es sind die letzten Worte des sterbenden Percy Heißsporn) hat Aldous Huxley seinem Roman „Zeit muss enden“ als Motto vorangestellt. Auch der Titel ist davon inspiriert.

In neunundzwanzig Kapiteln entwickelt Aldous Huxley eine bis ins Detail sorgfältig komponierte Handlung. Vor allem die verhängnisvollen Entscheidungen der Hauptfigur – des siebzehnjährigen Schülers Sebastian Barnack – werden in „Zeit muss enden“ differenziert ausgeleuchtet und nachvollziehbar dargestellt. Die Geschichte ist spannend und mit vielen tragikomischen Wendungen angereichert. An mehreren Stellen sind philosophische bzw. gesellschaftskritische Betrachtungen eingefügt, etwa wenn Paul De Vries seine Utopie einer Verbindung von Kunst, Wissenschaft, Religion und Ethik erläutert. Das 30. Kapitel des Romans „Zeit muss enden“, ein 46 Seiten langer Epilog, in dem wir Sebastian Barnack fünfzehneinhalb Jahre nach der eigentlichen Handlung noch einmal begegnen, setzt sich fast ausschließlich aus Überlegungen zu verschiedenen Themen zusammen, die der Protagonist im Lauf der Jahre schriftlich festhielt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011
Textauszüge: © Piper Verlag

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