Gefälschte Hitler-Tagebücher im "Stern"


Auf einer Pressekonferenz am 25. April 1983 präsentierte die Illustrierte „Stern“ angeblich von Adolf Hitler stammende Tagebücher: 62 Kladden mit privaten und politischen Überlegungen des „Führers“. Die Geschichte des „Dritten Reiches“ müsse neu geschrieben werden, hieß es. Der „Stern“-Reporter Gerd Heidemann (* 1931), der sich in Siegerpose fotografieren ließ, berichtete vor rund zweihundert Journalisten, die Hitler-Tagebücher seien aus dem Wrack eines in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges bei Börnersdorf in Sachsen abgestürzten Flugzeuges geborgen und später von einem korrupten General der DDR in die Bundesrepublik verschoben worden. Ein „Gewährsmann“ habe ihm die bis dahin unbekannten Tagebücher Hitlers angeboten. Als jemand fragte, warum auf den Kladden die Initialen FH statt AH standen, meinte Gerd Heidemann, FH stehe für „Führer Hitler“.

Drei Tage nach der Pressekonferenz begann der „Stern“ mit dem Abdruck von Auszügen: „Hitlers Tagebücher entdeckt“ lautete die Schlagzeile auf dem Titelblatt der Illustrierten.

Die Tagebücher sind nur ein Teil des Fundes. Heidemann fand Extra-Tagebuchbände des „Führers“ zum Fall Heß, zum Attentat vom 20. Juli 1944, Zeichnungen und Ölbilder des einstigen Kunstmalers Hitler, Bewerbungsschreiben und Liebesbriefe, Gedichte und das handgeschriebene 25-Punkte-Parteiprogramm von 1920 […] Die Geschichte des Dritten Reiches muss teilweise umgeschrieben werden […] Für Historiker und Laien kündigen sich Wochen, Monate und Jahre spannender Lektüre, erregter Diskussionen an. […] Der „Stern“ hat mit großer Sorgfalt die Tagebücher prüfen lassen – ein Aufwand, der in der Historikerzunft nicht immer üblich ist. […] Nach Menschenermessen kann kein Zweifel an der Echtheit bestehen. (Peter Koch: Der Fund. In: „Stern“, 28. April 1983)

Gerd Heidemann war übrigens der Besitzer der 26,5 Meter langen Luxusyacht, die 1936/37 auf Kosten des Reichsverbandes der Deutschen Automobilindustrie für Hermann Göring gebaut und von dem späteren Reichsmarschall auf den Namen seiner 1931 verstorbenen ersten Ehefrau getauft worden war: „Carin II“ . Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Briten die „Carin II“ beschlagnahmt. Aufgrund eines Gerichtsurteils war die Yacht 1960 an Görings Witwe Emmy zurückgegeben worden. Ein Bonner Druckereibesitzer hatte die Yacht von Emmy Göring erworben und 1973 für 160 000 D-Mark Gerd Heidemann verkauft.

Die Echtheit der vermeintlichen Hitler-Tagebücher ließ der „Stern“ sich vor dem Abdruck von dem Graphologen Hans Booms vom Bundesarchiv in Koblenz bestätigen. Auch das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz kam zu dem Schluss, dass die Tagebücher echt seien. Doch Anfang Mai deckte der „Spiegel“ mit Hilfe des Bundeskriminalamts auf, dass es sich um plumpe Fälschungen handelte.

Mit nackter Geldgier, unglaublicher Inkompetenz und nicht zuletzt einem lüsternen Interesse an scheinbar echten Nazi-Dokumenten brockte sich der Stern […] mit den „Hitler-Tagebüchern“ den größten Presse-Skandal der Nachkriegszeit ein […]
Es war ein Irrenhaus oder eben: die Hamburger Presse […] Der Stern kaufte die Eichmann-Memoiren, die Schirach-Memoiren und brachte die schönen schwarzen Nuba der unsterblich in Hitler verliebten Leni Riefenstahl. Der Spiegel mochte da nicht zurückstehen, zahlte dem freigelassenen Albert Speer eine sechsstellige Summe für ein Exklusiv-Gespräch und brachte später in unendlichen Fortsetzungen alles von Hitlers Sohn bis zu den (allerdings echten) Tagebüchern von Joseph Goebbels […]
Ohne diese verhängnisvolle Leidenschaft für Naziana wäre der Stern niemals auf den vermeintlichen Scoop hereingefallen. (Willi Winkler, Süddeutsche Zeitung, 25. April 2008)

Zwei der drei „Stern“-Chefredakteure – Peter Koch und Felix Schmidt – traten daraufhin zurück; Gerd Heidemann wurde entlassen und am 26. Mai unter Betrugsverdacht festgenommen. Der bereits am 14. Mai verhaftete Stuttgarter Militaria-Händler Konrad Kujau (1938 – 2000) gestand schließlich,

die Tagebücher gefälscht zu haben. Gerd Heidemann war ihm erstmals bei dem Industriellen Fritz Stiefel begegnet. Während Gerd Heidemann behauptete, Konrad Kujau 9,34 Millionen D-Mark für die gefälschten Hitler-Tagebücher bezahlt zu haben, wollte dieser nur 2,5 Millionen erhalten haben. (Erst später gaben seine Erben zu, dass er tatsächlich mehr als 9 Millionen bekommen hatte.) Im Sommer 1985 wurden Konrad Kujau und Gerd Heidemann vom Landgericht Hamburg wegen Betrugs verurteilt, und zwar zu viereinhalb Jahren bzw. vier Jahren und acht Monaten Haft. (Die „Carin II“ fiel bei einer Zwangsversteigerung an einen Ägypter.)

Helmut Dietl drehte über den Fall die Komödie „Schtonk!“.

Literatur über den „Stern“ und die gefälschten Hitler-Tagebücher

  • Peter-Ferdinand Koch: Der Fund. Die Skandale des Stern. Gerd Heidemann und die Hitler-Tagebücher (831 Seiten, Facta, Hamburg 1990)
  • Erich Kuby: Der Fall „Stern“ und die Folgen (206 Seiten, Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1983)
  • Michael Seufert: Der Skandal um die Hitler-Tagebücher
    (320 Seiten, Scherz, Frankfurt/M 2008)

© Dieter Wunderlich 2008

Helmut Dietl: Schtonk!

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