Günter Grass : Der Butt

Der Butt
Der Butt Originalausgabe: Hermann Luchterhand Verlag, Darmstadt / Neuwied 1977 ISBN: 3-472-86069-3, 699 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

1973 zeugt der Autor mit seiner Frau Ilsebill ein Kind, und die neun Kapitel des Buches entsprechen der Schwangerschaft. Parallel dazu findet gegen einen Butt, der gewissermaßen den Weltgeist darstellt, ein feministisches Tribunal statt. Und vor dem Hintergrund geschichtlicher Ereignisse in Danzig geht es um die Erlebnisse des zeitlich omnipräsenten Autors seit der Steinzeit. Dabei wird klar, dass die Männer die Menschheit nach der Ablösung des Matriarchats vor den Abgrund führten ...
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Kritik

Den im doppelten Sinne des Wortes fantastischen, von skurrilen Gestalten, Bildern und Geschichten, Ironie und Sprachwitz berstenden Roman "Der Butt" entwickelt Günter Grass formal überzeugend auf drei Erzählebenen.
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Ilsebill salzte nach. Bevor gezeugt wurde, gab es Hammelschulter zu Bohnen und Birnen, weil Anfang Oktober. Beim Essen noch, mit vollem Mund sagte sie: „Wolln wir nun gleich ins Bett oder willst du mir vorher erzählen, wie unsre Geschichte wann wo begann?“ (Seite 9)

Ilsebill wird durch den Akt schwanger, denn die Antibabypillen warf sie unlängst ins Klo.

Ihr Mann, der Autor des vorliegenden Buches, erzählt ihr, was er seit der Jungsteinzeit erlebte. Gleichzeitig verfolgt er ein feministisches Tribunal in Berlin gegen den Butt, der ihn die ganze Zeit über beriet, bis er kurz vor der Energiekrise 1973 den Vertrag kündigte.

Im Neolithikum hieß der Ich-Erzähler Edek, wie alle anderen Männer auch. Sie lebten unter der Herrschaft der dreibrüstigen Aua zwischen den Sümpfen der Weichselmündung.

Nicht Prometheus, sondern Aua hatte das Feuer vom Himmel geholt. Ein Mann wäre dafür ungeeignet gewesen, denn nur Frauen verfügen über eine Tasche. Die prüfte der Himmelswolf, als die Anführerin der Horde über den Regenbogen zu ihm kam und sich zu ihm legte. Nachdem er eingeschlafen war, steckte die Dreibrüstige drei Stückchen glühende Holzkohle vom Urfeuer in ihre feuchte Tasche.

Als sie ein Weilchen und noch ein Weilchen gewartet hatte, ließ sie seinen Prüfer aus ihrer Tasche gleiten, kippte ihn, wie er auf ihr lag, seitlich weg, sprang auf die Füße, schüttelte sich ein bisschen, nahm dann drei Stückchen glühende Holzkohle vom Urfeuer und versteckte sie in ihrer Tasche, wo sie sogleich den Wolfssamen auffraßen, das es zischte.
Da erwachte der Wolf […] Er sagte: „Ich bin zu erschöpft, um dir zu nehmen, was du gestohlen hast. Aber hör gut: das Urfeuer wird dort, wo deine Tasche sich öffnet, ein Zeichen einbrennen. Das wird dir als Narbe bleiben. Die Narbe wird jucken und jucken. Und weil es juckt, wirst du dir wünschen, dass jemand kommt und das Jucken wegmacht. Und wenn es nicht juckt, wirst du dir wünschen, dass jemand kommt und dir das Jucken macht.“ (Seite 68)

Höhnisch pisste sie ins Urfeuer, bis es erlosch.

Da weinte der alte Himmelswolf, denn nun konnte er keinen knusprigen Braten mehr essen, nur noch roh in sich reinschlingen. (Seite 69)

Sobald die Tasche trocken war, brannte die glühende Holzkohle. Deshalb kam die mutige Frau „Aua! Aua!“ schreiend zur Erde zurück. Und so bekam sie ihren Namen.

Aua und die anderen Frauen, die ebenfalls drei Brüste hatten, stillten nicht nur die Säuglinge, sondern auch die Männer, sobald diese zappelig wurden. Damit hielten sie die Horde unter Kontrolle.

Einmal bekriegte sich die Horde mit einer anderen, deren Frauen Eua und deren Männer Ludek hießen, aber die Kampfhandlungen wurden bald wieder eingestellt. Mit einem gemeinsamen Essen und gegenseitigen Einladungen begann ein gutnachbarliches Verhältnis der beiden Horden, und sie vermengten sich zur Sippe.

Am 3. Mai 2211 vor Christus fing Edek an der Stelle, an der später die Stadt Danzig entstehen sollte, einen uralten Butt in einer Aalreuse. Der sprach:

Es schmeichelt, schmackhaft zu sein. Dennoch bin ich sicher, dass mein Angebot, dir, das heißt der Männersache für alle Zeit als Berater verpflichtet zu bleiben, meinen Küchenwert übersteigt. (Seite 33)

Edek ließ sich überreden, den Butt wieder ins Wasser zurückzuwerfen. Von da an brauchte er nur vom Strand aus zu rufen. Schon sprang der allwissende Butt aus dem Wasser und war ihm mit seinen weisen Ratschlägen zu Diensten. Als der Butt die Männer dazu brachte, statt der üblichen Faustkeile Kupferäxte und metallene Speerspitzen herzustellen, wunderte Aua sich darüber:

Wo diese plötzlichen Kenntnisse herkämen? Uns falle doch sonst nichts Nützliches ein. (Seite 37)

Auf ihre Anweisung hin mussten die Männer die Metallgegenstände in den Fluss Radune werfen, und Edek wurde bestraft: Einen harten Winter lang verweigerten ihm alle Frauen die Brust und den warmen Rest.

Die Erfindung der Bronze ließ sich jedoch nicht auf Dauer unterdrücken. Aua wurde von Wigga abgelöst.

Und dann fiel die dritte Brust ab. (Seite 87)

Auf einmal […] stand die gute alte Wigga mit nur zwei ordinären Titten da. Die darauf folgende Ernüchterung mag den Entschluss einiger pomorscher Männer gefördert haben, sich versuchsweise an der Völkerwanderung zu beteiligen. (Seite 89)

Es kam noch schlimmer: Während die Männer unter Aua als Fischer und Jäger „beruflich autonom“ und zumeist unter sich waren, „im Schilf und Unterholz, im Moor und auf entlegenen Stränden außer Rufweite“ (Seite 90), spannte Wigga sie vor den Holzpflug. Der Ackerbau wurde für die Männer zur Fron.

997 kam der Prager Bischof Adalbert mit zwei Begleitern nach Danzig. Als Mestwina – die damalige Lebensgefährtin des Ich-Erzählers – für den Missionar eine Fischsuppe kochte, riss ihre Halskette, und einige der Bernsteinstücke plumpsten in den dampfenden Kessel. Die aphrodisische Wirkung blieb auch bei dem frommen Kirchenmann nicht aus: Er griff nach Mestwina.

Immer wieder und noch einmal drang der Asket mit seinem gar nicht mehr bußfertigen Werkzeug in ihr Fleisch. Ganz nach Art der Pomorschen, doch mit mehr Glaubenseifer und dialektischem Widerspruch, erschöpfte er sich in ihr. (Seite 107)

Von da an verlangte er von Mestwina, dass sie ihm jede Woche einmal Fischsuppe kochte. Als es ihr zu viel wurde, erschlug sie ihn am 12. April 997 im Alkohol- und Muscarin-Rausch [halluzinogene Pilze] mit einem gusseisernen Kochlöffel, den ihr Lebensgefährte aus der Vorratshütte des böhmischen Trosses gestohlen hatte. Nach dem Mord vergrub er den Löffel und warf die Leiche des Missionars in den Fluss Radune. Aber der Ich-Erzähler war auch selbst mit Adalbert von Prag identisch und verriet Mestwina an die Böhmen.

Jedenfalls war ich als Bischof schon tot, als ich in meinem Schafsgeruch in das böhmische Hauptzelt trat und Mestwina an die Herren verraten habe. (Seite 131)

Daraufhin wurde Mestwina zum Tod verurteilt und nach der Zwangstaufe von einem polnischen Henker mit dem Schwert enthauptet. Obwohl die Verantwortlichen die Wahrheit kannten, behaupteten sie weiterhin, Adalbert sei von heidnischen Pruzzen erschlagen worden. Ernst Paulig, der pensionierte Rektor des Gymnasiums Sankt Johann, grub im Herbst 1889 den gusseisernen Löffel aus und schenkte ihn der historischen Sammlung der Stadt Danzig.

„Pommerellisches Hausgerät“, stand auf einem Pappschildchen geschrieben. Dabei war der Löffel böhmischen Ursprungs. Eigentlich hatte ihn Adalbert zum Heidenbekehren mitgebracht. (Seite 111)

Im 14. Jahrhundert hieß der Autor Albrecht Slichting. Er lebte in Danzig und war Schwertfeger (Waffenschmied) wie sein Vater Kunrad Slichting. Albrecht kam häufig in das Weichseldorf Montau, denn sein Vater belieferte nicht nur den Danziger Sitz des Deutschen Ordens, sondern auch die Hochmeisterei über dem östlichen Nogatufer. Während eines Aufenthalts 1353 in Montau fiel ihm die damals sechsjährige Dorothea auf, das siebte von neun Kindern des niedersächsischen Neubauern Wilhelm Swarze. Eine unachtsame Magd hatte sie versehentlich mit kochendem Wasser übergossen, aber Dorotheas Haut war wie durch ein Wunder heil geblieben. 1363 heiratete der Schwertfeger Dorothea von Montau.

Zwei Jahre nach der Hochzeit vertraute Albrecht Slichting seiner Frau an, welche Abmachung er mit dem Butt geschlossen hatte. Gleich darauf gestand er dem Butt mit schlechtem Gewissen, dass er ihn verraten hatte und warnte ihn vor Dorothea. Er beobachtete, wie sie den Butt rief und küsste. Beim zweiten Mal nahm sie ein Küchenmesser mit an den Strand und schnitt dem Butt „nach Hausfrauenart“ den Kopf ab. Den Leib des Plattfisches ließ sie zu Boden fallen, den Kopf spießte sie aufs Messer. Aber der Butt sprang vom Messer, fügte sich wieder zusammen und peitschte Dorothea von Montau mit seinem Schwanz in die See. Erst am nächsten Tag kam sie zurück aus dem Wasser. Von da an ließ sie das Haus verwahrlosen, und sie wurde zu einem „übellaunigen Miststück“.

Von den neun Kindern des Paares überlebte eine einzige Tochter: Gertrud. Mit ihr unternahm Dorothea eine dreijährige Pilgerreise nach Aachen, Finsterwalde und Einsiedeln. Danach lief sie lüstern schreiend durch die Gassen von Danzig. Deshalb wollte ihr der Pfarrherr Christian Roze von Sankt Marien einen Hexenprozess anhängen. Er beriet sich mit dem Dominikaner Nikolaus, dem Abt Johannes Marienwerder und dem deutschherrischen Hauskomptur Walrabe von Scharfenberg. Die vier Herren suchten Dorothea auf und erfuhren von ihrem Mann, dass sie sich von ihm scheiden lassen wollte. 1390 schickten die Herren Dorothea von Montau mit der dominikanischen Agentin Marthe Quademosse nach Rom. Kurz bevor sie zurückkam, wurde Albrecht Slichting für tot erklärt und ein leerer Sarg auf dem Katharinenfriedhof begraben. Tatsächlich zog Albrecht mit seiner Tochter Gertrud und einer Magd heimlich nach Konitz, wo er sich unter anderem Namen niederließ und es erneut zu Wohlstand brachte. Gertrud verheiratete er mit einem jungen Schwertfeger.

Abt Johannes Marienwerder ließ Dorothea von Montau am 2. Mai 1393 auf ihren Wunsch hin unter ihrem Mädchennamen Swarze im Dom zu Marienwerder einmauern. Nur eine winzige Öffnung verblieb in der Wand, durch die sie Luft und ein Minimum an Nahrung bekam. Am 25. Juni 1394 starb sie.

Hundert Jahre später umsegelte der Ich-Erzähler in der Gestalt des portugiesischen Admirals Vasco da Gama Afrika und entdeckte den Seeweg von Europa nach Indien, wo er am 28. März 1498 mit der „Sao Raphael“ in Kalikut an der Malabarküste anlegte [Entdeckungsreisen]. (Tatsächlich erreichte Vasco da Gama Calicut am 20. Mai 1498. Die „São Rafael“ war zwar dabei, aber das Flaggschiff hieß „São Gabriel“.)

Etwa zur gleichen Zeit wurde in Danzig ein Mädchen namens Margarete als siebtes Kind des Grobschmieds Peter Rusch und dessen Ehefrau Kristin geboren. Die Mutter starb im Kindbett. Vom zwölften Lebensjahr an arbeitete Margarete Rusch bei den Birgittinen in der Küche.

Schließlich führte sie im Auftrag des Klosters die Küche des Danziger Bürgermeisters Eberhard Ferber. In dieser Zeit stieß der Ich-Erzähler als entlaufener Franziskanermönch zu ihr und wurde ihr Küchenjunge. Ihr Bettgenosse blieb er auch, als sie zur Äbtissin avancierte. Das fromme Amt hinderte Margarete Rusch, die „dicke Gret“, nicht daran, „sich nach Laune reformierte, katholische und seereisende Männer“ zuzulegen (Seite 227). Aber:

Sie ziert sich, geil zu sein wie sie ist. (Seite 258)

Der Arsch der dicken Gret war so groß wie zwei volkseigene Kollektive. Und wenn ich ihr, wie sie es mittwochs gern hatte, von hinten kam, doch vorher, damit alles weich und tränennass wurde, das Arschloch und was sonst anrainte, wie eine Ziege (hungrig nach Salz) leckte, was bequem möglich war, wenn die dicke Gret ihren Doppelschatz zur Anbetung bot, dann hättet ihr fliegenbeinzählenden Sexualsoziologen und Bischöfe, feist im Kummerspeck, als Zeugen gebeten, die Urform der Nächstenliebe, unsere partnerbezogene Inbrunst erleben können […] (Seite 257)

Der Prediger Jacob Hegge versuchte die Reformation in Danzig einzuführen und initiierte 1524 einen Aufstand. Daraufhin rief der Bürgermeister Eberhard Ferber den polnischen König Sigismund zu Hilfe. Der kam im April 1526 mit achttausend Mann und besetzte die Stadt kampflos. Mit Ausnahme des rechtzeitig geflüchteten Predigers wurden die Rädelsführer des Aufstands – darunter Margarete Ruschs Vater – am 29. April zum Tod verurteilt und am 26. Juni hingerichtet.

1529 erstickte die Äbtissin Margarete Rusch Eberhard Ferber „mit ihren zwei allerdings enormen Titten“ (Seite 12) im Bett.

Nach siebenundzwanzig Jahren war sie amtsmüde und bat um Erlaubnis, sich wieder als dienende Küchennonne nützlich machen zu dürfen. Als solche mästete sie 1582 Kaspar Jeschke, den Abt des Klosters Oliva, zu Tode.

1585 erstickte sie in Gegenwart des polnischen Königs Stephan Batory an einer Hechtgräte.

Die Aussagen des Butts vor dem feministischen Tribunal sind an dieser Stelle widersprüchlich. Einmal behauptet er, der Mann, den er jahrhundertelang beriet, sei Margarete Ruschs Vater gewesen, dann setzt er ihn mit Eberhard Ferber gleich und bei einer anderen Gelegenheit identifiziert er ihn mit dem Abt Kaspar Jeschke.

Agnes Kurbiella kam im Dreißigjährigen Krieg von der Halbinsel Hela nach Danzig, nachdem die Schweden ihr den Vater, die Mutter und alle Gänse genommen hatten. 1636 wurde die Küchenmagd schwanger.

Nachdem Agnes drei Jahre lang dem Stadtmaler [Anton Möller] als Marktmarjell, kaschubische Kiepenjungfer, als ernste Bortenwicklerin oder aufgeputzte Bürgerstochter Modell gestanden hatte und ihn obendrein mit leichter Kost (so gerne er fett aß) bekocht hatte, hob es ihr den Schürzensaum: sie wurde ihm schwanger Modell. (Seite 344)

Agnes Kurbiella hatte nicht nur mit dem Maler Anton Möller ein Verhältnis, sondern auch mit dem Dichter Martin Opitz. Das feministische Tribunal in Berlin beschuldigt den angeklagten Butt, sie verkuppelt und „ein durch männliche Kriegsgreul ohnehin verwirrtes Kind zwei verbrauchten Männern zum stimulierenden Missbrauch freigegeben zu haben“ (Seite 325).

Die Gesindeköchin Amanda Woyke wurde 1734 im Kloster Zuckau am östlichen Rand der Kaschubischen Schweiz leibeigen geboren und starb 1806 als Leibeigene auf der Staatsdomäne Zuckau. Unter dem Namen August Romeike war der Ich-Erzähler der Vater aller Töchter von Amanda Woyke. Sie erlebte die Einführung der Kartoffel durch Friedrich den Großen und regte ihrerseits den Grafen von Rumford dazu an, den Kartoffelanbau in Bayern zu unterstützen.

Gut ein halbes Jahrhundert später lebte der Ich-Erzähler als stotternder, von der drei Jahre jüngeren Köchin Sophie Rotzoll geliebter Gymnasiast Friedrich Bartholdy in Danzig. Im Alter von siebzehn Jahren verurteilte ihn ein Gericht wegen jakobinischer Umtriebe zum Tod, aber Königin Luise von Preußen sorgte dafür, dass er zu lebenslanger Festungshaft begnadigt wurde. Nach vierzig Jahren durfte er die Festung Graudenz verlassen.

Sophie Rotzoll, die inzwischen (von Frühsommer 1807 bis Herbst 1813) Jean Rapp bekocht hatte, Napoleons Gouverneur in Danzig, eine andere Inkarnation des Ich-Erzählers, starb 1849.

Im selben Jahr wurde Lena Pipka in Kokoschken, Kreis Karthaus, als dritte Tochter eines Ziegeleiarbeiters und dessen Ehefrau geboren. Mit sechzehn fand sie Arbeit in der Volksküche Danzig-Ohra. Im Jahr darauf heiratete sie den Ankerschmied Friedrich Otto Stobbe. Er fiel im Krieg 1870/71 vor Paris. Lena Stobbe heiratete daraufhin den zehn Jahre jüngeren Ankerschmied Otto Friedrich Stubbe. (Bei beiden Männern handelte es sich um den Ich-Erzähler: „Zweimal hat mich Lena Stubbe zum Mann gehabt.“ – Seite 513) 1896 sprach Lena Stubbe, die seit ihrer ersten Ehe dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein angehörte, mit August Bebel, der den Frauen jedoch Solidarität verweigerte. Einen Verleger für ihr Proletarisches Kochbuch fand sie auch nicht.

Wie sie meine Prügel stumm und einsichtig als missglückte Zärtlichkeiten ertrug. Wie sie mir, dem Versager im Bett, durch Gutzureden zu kleinen Wochenenderfolgen verholfen hat. Wie sie, als ich die Streikkasse bestohlen hatte, meinen Diebstahl nachts als Klofrau im Hotel Kaiserhof abverdiente [….] Wie sie, als ich aus der Partei ausgeschlossen werden sollte, vor den Genossen sprach und nichts auf „ihren Otto“ kommen ließ. Wie sie für mich auf die Polizeiwache ging. Und immer wieder meine Kotze von den Dielen gewischt. Und mich vom Nagel, an dem ich baumelte, mit dem Messer gesäbelt hat. Auf Lena war immer Verlass. (Seite 513)

Und weil durch ihre Nachsicht gedemütigt, betrank er sich jeden Freitag an Kartoffelschnaps und schlug er sie jeden Freitag regelmäßig im Beisein der wimmernden Kleinkinder […] Und jedesmal, wenn Otto Stubbe seine Lena mit schwerer Hand oder mit dem Abziehleder für sein Rasiermesser verprügelt hatte, weinte er über sich, sodass ihn Lena, die nicht weinte, trösten musste. (Seite 530)

1914 – zu Beginn des Ersten Weltkriegs – wurde Lena Stubbe zum zweiten Mal Witwe. Nicht nur ihre Männer, auch alle ihre vier Töchter starben vor ihr. Lena Stubbe wurde dreiundneunzig Jahre alt.

Im Mai 1950 begann ein Verhältnis zwischen dem Ich-Erzähler und der zwanzigjährigen Jura-Studentin Sibylle („Billy“) Miehlau aus Hoyerswerda. Sie wollten heiraten und galten als verlobt. Als Billy sich nach dem Abschluss ihres Studiums immer mehr zum Vamp entwickelte, hoffte er, dass ein gemeinsames Kind die Beziehung retten könne.

Da machte ich ihr, weil ich dachte, das hilft, ruckzuck ein Kind. Aber das war dann im Weg und wurde ruckzuck bei den Großeltern abgestellt. Das Muttersein kotzte sie an. (Seite 585)

Billy weigerte sich, mit ihrem Freund zu schlafen. Erst nachdem sie zu der Auffassung gekommen war, sie könne nur Frauen lieben, ließ sie ihn hin und wieder an sich heran. Billy und ihre Freundinnen Susanne Maxen („Mäxchen“), Franziska („Fränki“) Ludkowiak und Sieglinde („Siggi“) Huntscha betrachteten sich nun als lesbisch. Der Ich-Erzähler hielt das jedoch für einen Tick, denn er wusste jedoch aus eigener Erfahrung, dass alle vier Frauen auch Spaß am Sex mit Männern hatten.

Und mit Sibylle habe ich im Großen und Ganzen prima geschlafen. (Seite 577)

Eines Tages beschwerten sich alle vier bei ihm:

„Das geht nicht mehr. Das ekelt uns. So plump kann man uns nicht kommen. Wir sind ganz andere Zärtlichkeiten gewohnt. Ihr wollt doch bloß immer rein raus und fertig. Aufreißen und liegenlassen. Das kann man mit uns nicht machen, nicht mehr. Bedien dich sonstwo.“ (Seite 577)

Und als Billy das androgyne „Mäxchen“ bei sich in der Wohnung aufnahm, machte sie mit ihrem Freund endgültig Schluss.

Erst im Sommer sechzig – Sibylle war mit großem Trara dreißig geworden – hatte ich restlos ausgeschissen. Das Mäxchen war aufgekreuzt und duldete keine halben Sachen. („Ihr könnt ja Freunde bleiben. Aber sonst läuft hier nix mehr.“) (Seite 586)

1963 feierten die vier Frauen Vatertag am Grunewaldsee. Wie die Männer tranken sie Bier aus Flaschen, und Mäxchen pinkelte mit Hilfe eines Kunststoffprodukts aus Dänemark im Stehen gegen den Stamm einer Kiefer.

Kein Neid auf die Stinkmorchel mehr. Nie wieder erniedrigendes Weibergestrull. (Seite 588)

Als Mäxchen, Fränki und Siggi an diesem Abend aus einem kurzen Schlummer im Freien erwachten, wollte Mäxchen mit der noch schlafenden Billy einen Sohn zeugen und zog ihr deshalb Jeans und Schlüpfer aus. Dann gürtete sich Mäxchen sich mit einem Dildo und drang damit in Billy ein.

Nachdem sich das Mäxchen ideell bewiesen hatte, kam Siggi zum Zug. (Seite 617)

Erst als Siggi es ebenfalls versuchte, erwachte Billy und wehrte sich gegen den „Kunstfick“, aber Siggi und Mäxchen hielten sie fest. Billy schimpfte:

„Wenn ich das will, nehm ich mir nen richtigen Mann. Der ist mir lieber. Das sag euch euch als Frau. Habt ihr verstanden! Als Frau.“ (Seite 619)

Zornig zog sie sich an und verließ die Gruppe. Sie lief ziellos herum, und weil sie am Seeufer von Männern angepöbelt wurde, geriet sie immer tiefer in den Wald. Dort wurde sie von sieben Motorradfahrern eingeholt.

Eher gutmütig brummelten die Motoren. War ja alles nur Spiel. (Seite 623)

Ängstlich schlug Billy den Männern vor, ein paar Schnäpse am Roseneck zu kippen, aber die Kerle hatten anderes vor, und es gab kein Entrinnen. „Runter die Plünnen!“, hieß es. Billy zog sich bis auf Slip, Socken und Schuhe aus. Die Männer stiegen ab, öffneten die Hosen und zeigten ihre erigierten Penisse. Einer nach dem anderen vergewaltigten sie Billy. Der letzte schob ihr dann einen Tannenzapfen in die wunde Vagina. Anschließend fuhren die Männer so lange mit ihren Motorrädern über Billys Körper, bis sie tot war.

1973 machen Siggi, Fränki und Mäxchen Ferien in der Lübecker Bucht und mieten in Cismar ein Segelboot. Unversehens fangen sie den uralten Butt, der gerade den Vertrag mit dem Ich-Erzähler gekündigt hatte.

Als ich ihn, wenige Monate vor der Erdölkrise, wieder mal aus der See rief (um mich in Sachen Einkommensteuer beraten zu lassen), hat er mir den Vertrag gekündigt: „Aus euch Pappis ist ja kein Funken mehr zu schlagen. Nur noch Finten und Tricks. Jetzt werde ich mich“, sagte er wie zum Abschied, „ein wenig um die Ilsebills kümmern müssen.“ (Seite 47)

Wieder beginnt der Butt zu sprechen. Er berichtet den Frauen von seinem langjährigen Vertragspartner und erklärt ihnen, er könne der Männersache nichts mehr abgewinnen, halte es vielmehr für an der Zeit, eine neue Phase der Humanentwickelung einzuleiten.

Er nannte mich einen jungsteinzeitlichen Tölpel von durchschnittlicher Beschaffenheit. In unmündigem Zustand gehalten, sei ich nicht fähig gewesen, das totale Fürsorgesystem weiblicher Herrschaft zu erkennen oder gar zu durchbrechen. (Seite 51)

Der Butt ist bereit, sich in den Dienst der Frauenbewegung zu stellen, unter der Bedingung, dass Siggi, Fränki und Mäxchen ihn ins Wasser zurückwerfen. Für den Fall, dass sie es nicht tun und sein Beratungsangebot ausschlagen, droht er ihnen Konsequenzen an.

Das Mäxchen war auch ein wenig verängstigt: „Der meint, was er sagt.“ Doch Siggi und Fränki blieben hart wie nach Vorschrift: Durch Drohungen sei man nicht einzuschüchtern. Den Ton kenne man. Gottvater und so. Die übliche männliche Anmaßung. (Seite 53)

Die drei Frauen nehmen den Butt mit und füllen in der Landarbeiterkate, die sie als Ferienwohnung gemietet haben, für ihn eine Zinkbadewanne mit Ostseewasser. Nachdem sie mit ihren Kampfgefährtinnen in Berlin, Stockholm, Tokio, Amsterdam und New York telefoniert haben, fliegen sie mit dem Butt nach Berlin. In einem leerstehenden Kino im Stadtteil Steglitz wollen die Feministinnen ein Tribunal gegen den Butt veranstalten.

Sie benötigten fünf Wochen Streit, um aus sieben (nach Spaltungen) neun Frauengruppen, endlich die Vorsitzende des Tribunals und acht Beisitzerinnen zu wählen: alle, bis auf die Hausfrau Elisabeth Güllen, berufstätig, weshalb das Tribunal nur am Nachmittag und gelegentlich übers Wochenende tagte. (Seite 56)

Den Vorsitz des feministischen Tribunals übernimmt Frau Dr. Schönherr.

Der Butt, der seine Pflichtverteidigerin Bettina von Carnow ignoriert, erklärt vor dem „Feminal“, wie er es nennt:

„Zugegeben: auf meinen Rat hin löste der unterdrückte Mann die vieltausendjährige Phase geschichtsloser Frauenherrschaft ab, indem er sich gegen die Zwänge der Natur stellte, Ordnungsprinzipien entwarf, das chaotische, weil inzestiöse Mutterrecht durch die verantwortliche Disziplin des Vaterrechts ersetzte, der apollinischen Vernunft Geltung verschaffte, utopisch zu denken und praktisch Geschichte zu machen begann. Oft zu herrschaftsbetont, wie ich gestehen muss. Zunehmend kleinlich den Besitzstand sichernd. Allzu zaghaft das Neue wagend.“ (Seite 60f)

Ironisch ist die folgende Äußerung:

„Der historisch bedingte Machtverlust der Frauen wird allgemein überschätzt. Immerhin blieben seit dem Frühmittelalter die Küchen- und Schlüsselgewalt, der Bett- und also auch Traumbereich, die christliche Sonntagsmoral, das wichtige Kleingeld und die mutterbezogene Kinderaufzucht dem weiblichen Geschlecht vorbehalten. Mehr noch: das ahnende Gefühl, die kleine tyrannische Laune, die süße Heimlichkeit, das Jameinen, wenn man Nein sagt, die fromme Lüge, das modische Spiel, der alles und nichts bedeutende Augenaufschlag, die rasch und zu jeder Jahreszeit nachsprießenden Wünsche, all die liebenswerten, aber auch kostspieligen Extravaganzen.“ (Seite 59f)

Weil daraufhin Anschläge auf den Butt verübt werden, unterbrechen die Verantwortlichen das feministische Tribunal für vier Tage. In dieser Zeit lassen sie die Zinkwanne durch ein Gehäuse aus Panzerglas ersetzen und mit Wasser und Sand aus der Ostsee füllen. Dann setzen die Frauen die Befragung des angeklagten Butts fort, und er meint:

„Frauen empfangen, tragen aus, gebären, geben die Brust, ziehen auf, sehen eins von sechs Kindern wegsterben, kriegen ein neues wie nichts reingehängt, das sie austragen, nach wie vor unter Schmerzen gebären, an diese an jene Brust nehmen, Mamasagen und laufen lehren; bis sich die Mädchen – und hier zählen grundsätzlich nur die Töchter – für irgendeinen Kerl breit machen und wieder empfangen, was ausgetragen immer noch und nur von Müttern geboren wird.
Wie dürftig sind dagegen die Männer ausgestattet. Was sie empfangen, sind absurde Befehle. Was sie austragen, bleibt Spekulation. Ihre Ausgeburten heißen: das Straßburger Münster, der Dieselmotor, die Relativitätstheorie, Knorrs Suppenwürfel, die Gasmaske, der Schlieffenplan. Wir kennen tausend ähnlich namhafte Leistungen. Nichts war den Herren unmöglich. Es mussten die Eigernordwand bezwungen, der Seeweg nach Indien entdeckt, die Schallmauer durchbrochen, das Atom gespalten, die Konservendose und das Zündnadelgewehr erfunden, die Ruinen von Troja und Knossos ausgegraben, es mussten neun Symphonien vollendet werden. Denn weil die Männer nicht auf natürliche Weise empfangen, austragen, gebären können und selbst ihr blindwütiges Kinderzeugen als launischer Einzweck fragwürdig bleibt, müssen sie geistreiche Faxen machen, müssen sie vereiste Nordwände erklettern und Schallmauern durchbrechen, schichten sie Pyramiden, graben sie Panamakanäle, sperren sie Täler ab, experimentieren sie wie unter Zwang, bis alles synthetisch ist, müssen sie in Bildern, mit Wörtern, aus Tönen immerfort die Frage nach dem Ich, dem Sein, nach dem Sinn, dem Warum, Wozu und Wohin stellen, müssen sie allemann in der Tretmühle namens Weltgeschichte rackern, damit sie ausgemachte Männersache, datierte Siege und Niederlagen, Kirchenspaltungen und polnische Teilungen, Protokolle und Denkmäler ausspuckt […]
Affären und Großtaten von heute: Kalkutta. Der Assuandamm. Die Pille. Watergate. So heißen die Ersatzgeburten der Männer. Irgendein Prinzip hat sie trächtig gemacht. Mit dem Kategorischen Imperativ gehen sie schwanger. Immerhin versetzt sie das einzig von ihnen beherrschte Militärwesen in die Lage, den Tod als Niederkunft ins Ungewisse vorzudatieren. Doch was sie gebären – ob Kreation, ob Spottgeburt – wird nie laufen lernen, nicht Mama sagen können. Ungestillt wird es wegkümmern oder sich nur papieren fortzeugen: männlich auf Sitzschwielen geborene Kinder. Kultur? Nunja! Nunja! Oder das Leichenschauhaus. Schwarten füllen die Bibliotheken. Musik in Schallplatten konserviert. Bröckelnder gotischer Backstein. In klimatisierten Museen erinnert sich Kunst ihrer Ursprünge nicht. Und die Geheimarchive, in denen von Männern geborene Missgeburten als schlimme Dossiers leise knisternd fortleben. Schon gibt es die Datenbank. Schon nummeriert sich die Menschheit, jederzeit abrufbar. Kurzum: das alles ist als Leistung erschreckend erstaunlich. Wir sprechen von der bahnbrechenden Tat. Wir sagen. Er war im Scheitern noch groß […]
Ich sag es: Frauen müssen nicht fürs Nachleben sorgen, weil sie Leben verkörpern; Männer hingegen können nur außer sich Nachleben beweisen, indem sie das Haus bauen, den Baum pflanzen, die Tat vollbringen, ruhmreich im Krieg fallen, doch vorher noch Kinderchen zeugen. Wer nicht gebären kann, ist allenfalls mutmaßlich Vater und vor der Natur arm dran.“ (Seite 500ff)

„Nur wenn es gelingt, den Frauen die Liebe als erlösende Macht und die Gewissheit, geliebt zu werden, als höchstes Glück zu suggerieren und dann die Männer sich standhaft weigern, selbst wenn sie geliebt, bis zur Vergötterung geliebt werden, gleichfalls zu lieben oder flüchtiger Liebelei Dauer zu sichern, wenn also die Abhängigkeit der Frau von der nie gesicherten Gewissheit, ob er sie liebe, noch immer liebe, ausschließlich, schwächer, wiederum, nun nicht mehr liebe, zu einer lebenslänglichen Angst, Wertminderung, Qual und bedrückenden Hörigkeit geworden ist, dann endlich wird die Mutterherrschaft gebrochen sein, wird das Phallussymbol siegen und alle Vulvaidole entwerten, wird der Mann des Schoßes dunkle Vorgeschichte aufgeklärt haben und sich als Vater selbstherrlich fort- und fortsetzen.“ (Seite 333)

Im weiteren Verlauf des Tribunals kommt der Butt auf das Thema Gewalt in der Ehe zu sprechen:

„Sie wissen wie ich, verehrte Anklägerinnen, dass körperliche Züchtigung schon immer Ausdruck männlicher Schwäche gewesen ist […] Damals, zu Lena Stubbes Zeit, wurde das weibliche Geschlecht verzweifelt ungehemmt misshandelt. In allen Klassen. Adel und Bürgertum nicht ausgenommen. Doch die Arbeiterfrauen bezogen regelmäßiger, das heißt, jeden Freitag Prügel, weil das schwache Bewusstsein der Proletarier am Lohnzahltag keine andere Selbstbetätigung fand. Ja, selbst die organisierten Arbeiter schlugen als parteiliche Sozialisten freitags mit schwerer Hand zu […] Lena jedoch, die pünktlich geprügelte Lena blieb immer, auch stumm leidend, die Stärkere […] Nie hat sie sich gewehrt, etwa mit dem Feuerhaken. Sie wusste, dass ihr Friedrich Otto und ihr Otto Friedrich hinterher erschöpfte, gedemütigte, zerknirschte, ja, weinerliche Männchen waren.“ (Seite 518)

Der Butt gesteht, die Männer in den Kriegen zum Durchhalten aufgefordert zu haben, zum Beispiel 480 v. Chr. bei den Thermopylen und 1943 in Stalingrad.

„Immer wieder habe ich den Tod für irgendetwas – für die Größe der Nation, für die Reinheit dieser oder jener Idee, für die Ehre Gottes, den unsterblichen Ruhm, für irgendein abstraktes Prinzip: das Vaterland – meine Erfindung – hochgepriesen und zum eigentlichen Lebensinhalt erklärt.“ (Seite 658)

„Wer macht das? Was treibt die Menschen dazu, sich gegenseitig zu vernichten? Welche Vernunft waltet, wenn ein Gutteil Lohn des Arbeiterfleißes in immer perfektere Vernichtungstechnologien investiert wird?“ (Seite 659)

„Eingesegnet von den Pfaffen dieser oder jener Religion, wird das alles mit geradezu selbstlosem Einsatz von Männern, einzig von Männern geplant, korrekt – trotz Pannen – durchgeführt, hochgerechnet und mit Sinn versehen […] Männer machen Geschichte, Männer lösen Konflkte. Männer stehen oder fallen, und zwar bis zum letzten Mann […] Männer haben – um ein geflügeltes Wort zu zitieren – das Gewehr zur ‚Braut des Soldaten‘ erklärt.“ (Seite 660)

Der Autor, der mit den meisten der am Tribunal beteiligten Frauen geschlafen hat, wartet vor dem Kino auf Siggi und geht mit ihr in eine Kneipe.

Wir tranken dann noch ein paar Bier und paar Korn. Auf Sieglindes Frage „Und was haste momentan in der Mache?“ gab ich vorsichtig Auskunft: Das Tribunal an sich, das ganze Thema überhaupt interessiere mich. Ich sei nicht nur als Autor, sondern auch als Mann betroffen. Und zwar irgendwie schuldhaft. Das alles komme mir sehr entgegen. Anfangs hätte ich nur über neun oder elf Köchinnen eine Art Ernährungsgeschichte schreiben wollen: vom Schwadengras über die Hirse zur Kartoffel. Aber der Butt sei gegengewichtig geworden. Und der Prozess gegen ihn. Leider habe man mich als Zeugen nicht zulassen wollen. Meine Erfahrungen mit Aua, Wigga, Mestwina und Dorothea seien den Damen wenn nicht lächerlich, so doch bloße Fiktion gewesen. „Richtig abgeschmettert habt ihr meine Anträge. Was bleibt da übrig, als das Gewohnte zu tun: schreiben, schreiben.“ (Seite 184f)

Nach dem letzten Schluck Bier fordert Siggi ihren Begleiter auf, mit ihr ins Bett zu gehen. Mitten in der Nacht bittet er sie, ihm Zugang ins Kino zu verschaffen, damit er noch einmal mit dem Butt reden kann. Siggi, die über einen Schlüssel verfügt, sperrt ihm die Türe auf. Aber der Butt will nichts mehr mit ihm zu tun haben:

„Alle Macht, die ich dir verliehen habe, hast du missbraucht. Anstatt dein dir gegebenes Recht fürsorglich geltend zu machen, ist dir Herrschaft zur Unterdrückung, ist dir Macht zum Selbstzweck missraten.“ (Seite 188)

Vor dem Tribunal erklärt sich der Butt abschließend noch einmal bereit, die Frauen zu beraten. Eine radikale Fraktion der Beisitzerinnen lehnt das ab und plädiert dafür, den Butt zu liquidieren. Am Ende setzen sich gemäßigte Meinungen durch, und es wird beschlossen, als symbolische Strafe vor den Augen des Butts ein Buttessen zu veranstalten. Daran darf der Ich-Erzähler als einziger Mann unter vierundfünfzig Frauen teilnehmen.

Obwohl Ilsebill in den nächsten Tagen mit der Niederkunft rechnet, stellt sich ihr Mann den Feministinnen als Transporthelfer zur Verfügung und reist mit ihnen und dem Butt zur dänischen Ostseeinsel Møn zwischen der Südspitze Sjællands und der Ostspitze Falsters, wo der Butt ausgesetzt werden soll. In einer Art Bauchladen trägt der Ich-Erzähler das Gefäß mit dem Butt durch einen Buchenwald zur Steilküste. Begleitet wird er von Ulla Witzlaff, Therese Osslieb, Helga Paasch und Erika Nöttke, einer dänischen Delegation und Journalistinnen. Bettina von Carnow ist der Marsch zu beschwerlich; sie bleibt im Hotel zurück. Während die Gruppe mit dem Butt zum Strand hinunterklettert, tauchen auf den Kreidefelsen Griselde Dubertin und Ruth Simoneit mit den radikalen Feministinnen auf und werfen mit Steinen. Obwohl einige Frauen getroffen werden, führen sie ihr Vorhaben zu Ende, und der Autor lässt den Butt nach neun Monaten Gefangenschaft wieder ins Meerwasser gleiten.

Als er ins Hotel zurückkommt, reicht man ihm ein Telegramm seiner Frau, die ihn dringend zurückruft, weil die Geburt des Kindes unmittelbar bevorsteht.

Wie alle anderen Frauen auch, mit denen der Ich-Erzähler im Lauf der Jahrhunderte zusammen war, bringt Ilsebill eine Tochter zur Welt.

Drei Monate später will er nach Danzig, wo im Auftrag des NDR ein Dokumentarfilm über den Wiederaufbau gedreht wird. Und er beabsichtigt, bei dieser Gelegenheit, auch Maria Kuczorra wieder einmal zu besuchen.

Maria Kuczorra wurde 1949 in Danzig geboren. Ihr Vater war ein Cousin der Mutter des Ich-Erzählers. Der lernte das damals neunjährige Mädchen kennen, als er 1958 erstmals ein Visum bekam und die Verwandten besuchte. Maria machte in einem Konsumgeschäft eine Lehre als Verkäuferin. Im Sommer 1969 fing sie als Köchin in der Werkkantine der Leninwerft in Gdansk an. Die Stelle verdankte sie ihrem dreizehn Jahre älteren Lebensgefährten Jan Ludkowski, der Schiffsbau studiert hatte und in der Werbeabteilung der Werft Prospekte für das westliche Ausland redigierte.

Als die Preise vor allem für Konsumgüter im Dezember 1970 massiv erhöht wurden, protestierten die Arbeiter mit Streiks und Demonstrationen. So auch in Gdansk. Dort zogen sich die Arbeiter nach Prügeleien mit der Miliz aufs Gelände der Lenin-Werft zurück [„Strajk“ / Anna Walentynowicz] Jan Ludkowski hielt am 18. Dezember 1970 gerade eine Ansprache übers Megaphon, als er von einem Schuss in den Bauch getroffen und tödlich verletzt wurde.

Maria arbeitet noch immer in der Kantine der Lenin-Werft. Ihre Zwillingstöchter Damroka und Mestwina sind bei Jans Mutter.

Der Autor geht mit Maria am Strand spazieren. In den Dünen zieht Maria sich aus, aber sie will nur rasch genommen werden. Danach schlüpft sie rasch wieder in ihre Sachen, geht bis zu den Knien ins Wasser und ruft den Butt. Er springt ihr sogleich in die Arme, und der Erzähler hört die beiden längere Zeit reden. Als Maria zurückkommt, meint er zunächst, es sei Dorothea, dann Agnes, Billy, aber es ist Ilsebill.

Sie übersah, überging mich. Schon war sie an mir vorbei. Ich lief ihr nach. (Seite 694)

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Günter Grass entwickelt den Roman „Der Butt“ auf drei Ebenen: (1) 1973 zeugt der Autor mit seiner Frau Ilsebill ein Kind, und die neun Kapitel des Buches entsprechen den neun Monaten der Schwangerschaft. Am Ende bringt Ilsebill eine Tochter zur Welt, und ihr Mann fliegt von Ostberlin nach Gdansk, wo er eine Verwandte trifft, die in der Lenin-Werft als Köchin arbeitet und ihren Freund beim Arbeiteraufstand 1970 verloren hat. (2) Parallel dazu findet gegen einen Butt, der gewissermaßen den Weltgeist darstellt, ein feministisches Tribunal in Berlin statt, das ebenfalls neun Monate dauert. (3a) Der Autor erzählt Ilsebill, was er in verschiedenen Inkarnationen seit dem Neolithikum erlebt hat. (3b) Der Butt, der ihn von der Jungsteinzeit bis zur Ölkrise 1973 beriet, sagt vor dem Tribunal aus, berichtet über das Verhältnis des Autors zu den neun Frauen, die ihn vor Ilsebill verköstigten und reflektiert vor dem Hintergrund geschichtlicher Ereignisse in Danzig (von der Entdeckung des Feuers bis zum Streik auf der Lenin-Werft im Dezember 1970) über die Ablösung des Matriarchats durch das Patriarchat, die Rolle der Frau und die des Mannes. Es wird klar, dass die Geschichte bisher eine der Männer war und sie verantwortlich für Krieg und Gewalt sind. Die Männer haben die Menschheit an den Abgrund geführt.

Leidenserfahrungen und Lebensgenuss, Zivilisationskritik und Spurenelemente utopischer Hoffnung werden im episch-ironischen, historisierend sprachspielerischen, von kommentierenden Gedichten durchsetzten Erzählfluss eng verwoben. Das vieldeutige, ja widersprüchliche Ganze stimuliert Fantasie und historisch-politische Reflexion gleichermaßen. (Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, Dortmund 1989, Band 1, Seite 531)

Ilsebill symbolisiert zwar das Ewig-Weibliche, aber die Frauen in „Der Butt“ wechseln. Zwei männliche Figuren sind dagegen zeitlich omnipräsent: Der Butt und der Autor. Die Frauen halten den immerwährenden Kreislauf von Geburt und Tod aufrecht; die Männer versuchen sich durch historische Errungenschaften – Ersatz für die ihnen versagte Schwangerschaft – zu verewigen.

Ob der Butt am Ende davon überzeugt ist, dass die Geschicke der Menschheit besser von den Frauen in die Hand genommen werden, bleibt offen. Dass Günter Grass Lesbierinnen auftreten lässt, die männliche Verhaltensweisen nachahmen (im Stehen urinieren, eine Schlafende mit einem umgeschnallten Dildo vergewaltigen), deutet eher auf Skepsis hin.

Dreh- und Angelpunkt des Romans „Der Butt“ ist das niederdeutsche Märchen „Vom Fischer un syner Frau“, das die Gebrüder Grimm von dem Maler Philipp Otto Runge übernahmen. – Ein armer Fischer fängt im Meer einen sprechenden Butt, bei dem es sich um einen verwunschenen Prinzen handelt. Als Ilsebill, die Frau des Fischers, erfährt, dass er den Butt ins Wasser zurückwarf, ohne dafür eine Gegenleistung verlangt zu haben, fordert sie ihn zornig auf, den Butt zu rufen. Wunschgemäß verwandelt der Butt die Kate des Paares in ein Haus. Ilsebill gibt sich damit nicht zufrieden: Immer wieder aufs Neue schickt sie ihren Mann aus, um vom Butt weitere Wünsche erfüllt zu bekommen. Unwillig fügt sich der Fischer, begehrt aber auch nicht auf. Als Ilsebill schließlich wie Gott werden möchte, versetzt der Butt sie aus dem Palast, in dem sie inzwischen residiert, zurück in die armselige Fischerkate. Ihre Maßlosigkeit führt dazu, dass sie alles verliert. – In „Der Butt“ kehrt Günter Grass die Verhältnisse gegenüber dem Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ um: Nicht die Frau ist unersättlich, sondern der Mann.

Unter die fiktiven Romanfiguren hat Günter Grass auch Namen historischer Persönlichkeiten gemischt, zum Beispiel Adalbert von Prag, Dorothea von Montau, Johannes Marienwerder, Vasco da Gama [Entdeckungsreisen], Jacob Hegge, Eberhard Ferber, Anton Möller, Martin Opitz, Sir Benjamin Thompson Reichsgraf von Rumford, Jean Rapp.

Ans Ende der meisten Abschnitte in „Der Butt“ hat Günter Grass ein Gedicht gesetzt.

„Ilsebill salzte nach.“ Den ersten Satz des Romans „Der Butt“ von Günter Grass erkor eine aus Heiner Brand, Thomas Brussig, Elke Heidenreich, Jutta Limbach, Paul Maar und Marietta Slomka zusammengesetzte Jury 2007 im Auftrag der Initiative Deutsche Sprache und der Stiftung Lesen unter 17 000 Vorschlägen zum schönsten Romananfang in der deutschsprachigen Literatur.

Günter Grass schreckt in „Der Butt“ aber auch nicht vor obszönen Formulierungen bzw. der Fäkalthematik zurück, so etwa in den Kapiteln „Der Arsch der dicken Gret“ (S. 257ff) und „Den Kot beschauen“ (S. 299ff).

Als die dicke Gret einen Furz fahren ließ, weil ich sie zu spitzfindig geleckt hatte, nahmen wir beide das bisschen Gegenwind hin. Schließlich hatten wir, wie regelmäßig am Mittwoch, zu Rübchen und gepfefferten Schweinerippen dicke Bohnen gegessen; und wer den Furz seiner Liebsten nicht riechen kann, der soll nicht von Liebe reden … (Seite 259)

[…] unser Kot sollte uns wichtig sein und nicht widerlich. Ist doch nichts Fremdes. Hat unsere Wärme. (Seite 299)

Und als ich General Rapp und Napoleons Gouverneur der Republik Danzig gewesen bin, war es die Köchin Sophie Rotzoll, die mir, weil ich ihre Pilzgerichte als unverdaulich beschimpft hatte, meinen Scheißdreck anschaulich auf silbernem Tablett servierte […] Und es stimmte: keine lappige Pilzhaut, kein Pilzgewürm war geblieben. Bald habe ich Morcheln, Reizker, Mooshäuptchen und Pifferlinge mit immer wacherem Gaumen delikat genannt. Sogar auf die schmackhaften, wenn auch sandigen polnischen Grünlinge wollte ich, so belehrt, nicht verzichten, obgleich sich der Sand in meiner gouvernalen Kacke hätte nachweisen lassen. (Seite 300)

Derbe Passagen wie diese kontrastieren mit wohlklingenden Formulierungen. „Der Butt“ erreicht zwar m. E. nicht das Niveau der „Blechtrommel“, aber es handelt sich um einen im Doppelsinn des Wortes fantastischen Roman, zum Bersten voll mit skurrilen Gestalten, Bildern und Geschichten, Ironie und Sprachwitz, formal überzeugend und in der unverwechselbaren Sprache Günter Grass‘ geschrieben.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Textauszüge: © Luchterhand

Günter Grass (Kurzbiografie)

Günter Grass: Die Blechtrommel
Günter Grass: Katz und Maus
Günter Grass: Das Treffen in Telgte
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Günter Grass: Unkenrufe (Verfilmung)
Günter Grass: Mein Jahrhundert
Günter Grass: Im Krebsgang
Günter Grass: Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung

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