Umberto Eco : Baudolino

Baudolino
Originalausgabe: Baudolino, Mailand 2000 Übersetzung: Burkhart Kroeber Carl Hanser Verlag, München 2000 Taschenbuch: dtv, München 2004 ISBN 3-423-13138-1, 640 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Um einem Reiter, dem er 1155 im Alter von ungefähr 13 Jahren begegnet, eine Freude zu machen, erzählt ihm der aufgeweckte piemontesische Bauernsohn Baudolino, ein Heiliger habe ihm verraten, der Fremde werde die Stadt Tortona erobern. Dem Reiter, bei dem es sich um Friedrich Barbarossa handelt, kommt die Prophezeiung gerade recht. Deshalb kauft er den Jungen dessen Vater Gagliaudo ab, nimmt ihn mit zur Kaiserkrönung nach Rom und adoptiert ihn ...
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Kritik

Obwohl es in der Mitte und am Ende des Romans "Baudolino" von Umberto Eco um einen Kriminalfall – nämlich die Ermordung Barbarossas – geht, handelt es sich nicht um einen Thriller, sondern um einen Schelmenroman, in dem der einfallsreiche Autor seine Fabulierlust voll auslebt.
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Adoption

Der aufgeweckte piemontesische Bauernsohn Baudolino erzählt fortwährend fantasievolle Geschichten, etwa über Einhörner, die er angeblich im Wald entdeckt hat. Um einem bewaffneten Reiter, dem er 1155 im Alter von ungefähr 13 Jahren begegnet, eine Freude zu machen, sagt ihm Baudolino, der heilige Baudolino sei ihm erschienen und habe ihm verraten, der Fremde werde die Stadt Tortona erobern. Bei dem Reiter handelt es sich um niemand anderen als Friedrich Barbarossa (1122 – 1190). Dem kommt die Prophezeiung gerade recht. Deshalb kauft er den Jungen dessen Vater Gagliaudo ab, nimmt ihn mit zur Kaiserkrönung nach Rom und adoptiert ihn. Zurück in Deutschland übergibt er ihn der Obhut des Bischofs Otto von Freising und dessen Sekretärs Rahewin.

Baudolino ist wissbegierig und lernt eifrig. Er stiehlt Pergamente der „Chronica sive Historia de duabus civitatibus“, an der Otto von Freising zehn Jahre lang arbeitete, und schabt sie ab, um sich Schreibmaterial zu verschaffen. Zwei Jahre später entschließt sich Otto von Freising, der über die Unauffindbarkeit der Weltchronik sehr verwundert ist, noch einmal neu zu beginnen. „Willst du ein Mann der Schrift werden, so musst du auch lügen und Geschichten erfinden können, sonst wird deine Historia langweilig“, gibt er seinem Schützling mit auf den Weg.

Paris

Als 16-Jähriger kommt Baudolino nach Paris und freundet sich dort mit Abdul, Boron und einem Rittersohn aus Köln an, den alle nur „Poet“ nennen.

Obwohl der Poet nicht reimen kann, verhilft ihm Baudolino mit für ihn formulierten Gedichten zu einer angesehenen Stellung bei Kaiser Friedrichs Kanzler Rainold von Dassel.

Abdul schleckt hin und wieder grünen Honig und wird dadurch „high“. Den Honig raubte er bei seiner Flucht aus der Burg des gefürchteten Sarazenenführers Aloadin in den Bergen unweit von Antiochia. Als Kind hatte er dort jahrelang zusehen müssen, wie gefesselte junge Männer mit grünem Honig gefüttert und dadurch in wunderbare Traumwelten versetzt wurden. Wenn sie dann nicht mehr ohne diese Halluzinationen leben wollten, schickte sie Aloadin aus, um seine Widersacher zu töten. Erst nach erfolgreicher Tat erhielten sie wieder grünen Honig.

Kaiser Friedrich heiratete 1156 in zweiter Ehe Beatrix von Burgund, eine schöne Frau im Alter von Baudolino. Der verliebte sich vor seiner Abreise in seine Stiefmutter und schreibt nun in Paris leidenschaftliche Liebesbriefe an sie, die er natürlich nicht abschicken kann, sondern sich selbst ebenso schwärmerisch beantworten muss.

Lebensretter

Nach zehn Jahren kehrt Baudolino aus Paris an den Hof des Kaisers zurück. Dort versammelt er nach einigen Jahren die Kommilitonen Abdul, Boron, Kyot, Rabbi Solomon und den Poeten um sich.

Auf Anraten Baudolinos hat Kaiser Friedrich am 28. Dezember 1165 Karl den Großen heilig gesprochen. Als Nachfolger eines Heiligen genieße er – so hat ihm Baudolino eingeredet – noch größeres Ansehen.

Barbarossa hatte sich 1157 auf dem Reichstag in Besançon geweigert, sein Kaisertum als päpstliches Lehen auszugeben. Um seine Herrschaft im Römischen Reich zu behaupten, kämpft er seither gegen die aufständischen papsttreuen norditalienischen Stadtstaaten. Am 29. Mai 1176, nach der verlorenen Schlacht bei Legnano, liegt der Kaiser verwundet im Gebüsch. Baudolino, der ihm nachgereist ist, sucht ihn auf dem Schlachtfeld und rettet ihm das Leben.

Venedig

Im Auftrag seines Adoptivvaters reist Baudolino im April 1177 nach Venedig, um ein für Juli geplantes Versöhnungstreffen des Kaisers mit Papst Alexander III. vorzubereiten. In einer Kneipe lernt Baudolino den orthodoxen Mönch Zosimos aus Chalkedon kennen, der für das Byzantinische Reich in Venedig spioniert. Der Grieche deutet an, dass er wisse, wo eine Landkarte von Kosmas Indikopleustes zu finden ist. Darauf sei der Weg der zwölf Magiere aus dem Morgenland eingezeichnet, die Jesus als Abgesandte des Presbyters Johannes in Bethlehem huldigten. Baudolino, der schon mit seinen Kommilitonen in Paris davon träumte, das sagenhafte Reich des Priesterkönigs im Orient zu finden, ist überzeugt, dass er es mit Hilfe der Karte schaffen kann. Durch den Alkohol benebelt erzählt er Zosimos von einem Brief, den Johannes angeblich zusammen mit einem wertvollen Geschenk – einem Gradal – Kaiser Friedrich überbringen ließ. Am nächsten Morgen erfährt Baudolino, dass Zosimos abgereist ist. Und bald darauf wird das Gerücht verbreitet, der Presbyter Johannes habe dem Basileus einen freundlichen Brief geschrieben.

Ehe

1180 heiratet Baudolino Colandrina, die 15-jährige Tochter des Guasco aus seiner Heimat. Baudolino sieht seine Frau nur alle paar Monate, weil er viel mit Barbarossa unterwegs ist. Am Ende des ersten Jahres erfährt er, dass sie ein Kind erwartet. Als die Schwangere gerade Blumen pflückt, wird sie von Schafdieben umgestoßen und von den auseinander stiebenden Schafen überrannt. Baudolino trifft zwei Tage später in Alexandria ein. Da liegt sie bereits im Sterben. Entsetzt bemerkt Baudolino, dass der vorher bereits abgegangene Fötus vom Bauch bis zu den Füßen wie ein Lämmchen mit weißem Flaum bedeckt ist. Er hat ein Monster gezeugt!

Kreuzzug

Die Bauern in Baudolinos Heimat hatten 1158 eine Stadt gegründet und sie zu Ehren des Papstes Alexandria genannt. Kaiser Friedrich belagerte sie 1175 vergeblich. Deshalb stimmte er 1183 einer von Baudolino vorgeschlagenen rituellen Neugründung unter dem Namen Caesarea zu. (Die Einwohner nannten sich zwar bald wieder Alexandriner, aber der Kaiser ärgerte sich nicht mehr darüber.)

Nachdem im November 1184 überraschend Kaiserin Beatrix starb, sucht Baudolino nach einer Gelegenheit, seinen Adoptivvater zu einer Reise in den Orient zu überreden. (Der von ihm gefälschte Brief des Presbyters Johannes ist durch seine eigene Indiskretion und Zosimos‘ Verrat unbrauchbar geworden.) Baudolino gibt die hölzerne Trinkschale seines Vaters als Gradal aus und behauptet, das Geschenk des Priesterkönigs für Kaiser Friedrich sei unterwegs in Jerusalem gestohlen worden. Für viel Geld habe er es einem Templer abgekauft. Nun schlägt er vor, nach Osten ziehen, um den Gradal dem Priesterkönig zurückzubringen. Durch ein Bündnis mit Johannes könne der Kaiser sowohl den Papst in Rom als auch den Basileus in Konstantinopel in die Schranken verweisen. Tatsächlich bricht Kaiser Friedrich im Mai 1189 mit einem gewaltigen Heer zum 3. Kreuzzug auf.

In Konstantinopel gelingt es Baudolino, Zosimos zu finden und zu überwältigen. Als Gefangener begleitet der Grieche ihn und seine Gefährten auf der Weiterreise nach Jerusalem. Unterwegs begegnen sie Machitar Ardzrouni, einem armenischen Würdenträger, den Zosimos kennt. Ardzrouni hofft, dass sein Rivale Fürst Leo keinen Angriff gegen ihn wagt, wenn er sich unter den Schutz des Kaisers stellt. Er bietet deshalb Friedrich Barbarossa seine Dienste als ortskundiger Begleiter an und lädt ihn ein, auf seiner Burg am Fluss Saleph in Anatolien zu übernachten.

Baudolino und seine Gefährten halten Wache, während der Kaiser in einem von innen verriegelten und vorher von ihnen sorgfältig durchsuchten Gemach schläft. Als am anderen Morgen – wir schreiben den 10. Juni 1190 – nichts aus dem Zimmer zu hören ist und sie deshalb die Tür aufbrechen, liegt Barbarossa leblos neben seinem Bett am Boden. Offenbar hat er das Wundermittel, das ihm die Freunde am Abend vorsorglich in den Gradal gegossen hatten, getrunken. Obwohl niemand den Raum betreten haben konnte, brennt im Kamin ein Feuer.

Baudolino weiß, dass der Kaisersohn Friedrich von Schwaben immer eifersüchtig auf ihn war und ihn nicht leiden kann. Erführe er, dass sein Vater in Baudolinos Obhut gestorben ist oder vielleicht sogar auf geheimnisvolle Weise ermordet wurde, würde er seinen Stiefbruder töten lassen. Da der Kaiser bei der Ankunft angekündigt hatte, er werde am Morgen im Fluss baden, schleppen Baudolino und seine Gefährten den Leichnam hinaus, binden ihn aufrecht sitzend auf einem Pferd fest und bringen ihn zum Ufer. Als der Körper, den Baudolino ins Wasser geworfen hat, am Lager Friedrichs von Schwaben vorbeitreibt, wird er von Kreuzfahrern entdeckt und an Land gezogen. Rasch verbreitet sich die Nachricht, Kaiser Friedrich sei beim Baden im Saleph ertrunken.

Reise nach Pndapetzim

Auf Baudolino fällt kein Verdacht. Friedrich von Schwaben ist froh, dass dieser mit Boron, Kyot, Abdul, Solomon, Boidi, dem Poeten, vier Alexandrinern und Adrzrouni eigenständig weiterziehen möchte. Zosimos weist ihnen allerdings nicht den Weg, denn während der Aufregung nach dem Tod des Kaisers gelang es ihm, unbemerkt zu fliehen. Vorher hatte er wohl den Gradal in einer von sechs falschen Reliquien versteckt und mitgenommen. (Die restlichen Johannes-Köpfe teilen die Gefährten unter sich auf, um sie bei Gelegenheit zu verkaufen.)

Auf ihrer vier Jahre langen Reise erleben die Gefährten zahlreiche gefährliche Abenteuer. Abdul kommt beim Angriff eines Mantikore (Fabeltier) ums Leben. Nach der Überquerung des Flusses Sambatyon, in dem statt Wasser Geröll strömt, treffen sie auf einen Skiapoden, ein einbeiniges Wesen so groß wie ein Kind von zehn oder zwölf Jahren, das schneller als ein Pferd laufen kann. Gavagai – so heißt der Skiapode – hält die Reisenden für elf der zwölf Magiere, die vor langer Zeit in den Westen reisten und nun offenbar zurückkehrten. Er führt sie in die Stadt Pndapetzim und wird Baudolinos treuer Diener.

Was in Pndapetzim geschieht, bestimmen die von Praxeas angeführten Eunuchen. Sie bewachen auch den Diakon. Dabei handelt es sich um den designierten Nachfolger des Presbyters, der im Kindesalter ausgewählt wird und sich in einem abgeschiedenen Raum auf seine Aufgabe vorbereitet. Den Priesterkönig bekommt er nie zu Gesicht. Der residiert in einem Palast eine halbe Jahresreise weiter im Osten. Erst wenn er tot ist, wird der Diakon dorthin gebracht.

Baudolino und seine Gefährten glauben, schon fast am Ziel ihrer Reise angelangt zu sein. Sie müssen sich allerdings noch gedulden, denn vor ihrer Weiterreise muss ein Bote die Genehmigung des Priesterkönigs einholen. Bis zu seiner Rückkehr wird mindestens ein Jahr vergehen.

Hypatia

In einem nahen Wald entdeckt Baudolino die bezaubernde, von einem Einhorn begleitete Hypatia. Er bewundert ihr liebliches Gesicht, das blonde, bis zu den Hüften reichende Haar, die schlanke, von einem bodenlangen Kleid verhüllte Figur. Zum dritten Mal in seinem Leben verliebt sich Baudolino. Ihm wird bewusst, dass er in den Liebesbriefen an Kaiserin Beatrix eine platonische Liebe kultivierte und gegenüber Colandrina vor allem Zärtlichkeit empfand. Erst jetzt fühlt er die Liebe zwischen Mann und Frau in all ihren Facetten. Die erste Frau war als Ehegattin des Kaisers nicht erreichbar für ihn, die zweite raubte ihm der Tod. Wird es ihm gelingen, mit der dritten Frau seines Herzens glücklich zu werden? Das ist nicht einfach, obwohl Hypatia seine Liebe erwidert, denn sie gehört zu einer abgeschieden lebenden Sekte, die nicht einmal von den Gesprächen mit einem Mann wissen darf. Die ausschließlich weiblichen Mitglieder heißen alle nach der griechischen Philosophin Hypatia, einer weisen Frau, die vor langer Zeit von Christen qualvoll umgebracht wurde. Nur einigen jungen Schülerinnen gelang die Flucht. Seither versuchen die Hypatien, sich gemeinsam an das zu erinnern, was Hypatia lehrte. Um sich fortzupflanzen, werden von Zeit zu Zeit Jungfrauen während der Nacht an einen geheimen Ort geführt, dort durch einen Trank betäubt und für kurze Zeit sogenannten Befruchtern überlassen. Nur die so gezeugten Mädchen werden von den Hypatien aufgezogen. Knaben übergeben sie den Befruchtern.

Schließlich kann sich Baudolino nicht mehr zurückhalten, und auch Hypatia ist bereit, sich ihm hinzugeben. Er enthüllt ihre wohlgeformten Brüste und schiebt seine Hände unter das Kleid, ertastet den Flaum, der ihren Schoß anzukündigen scheint, spürt, wie sich dieser verdichtet und die Innenseite ihrer Beine bedeckt. Vom Bauch abwärts hat sie die Gestalt einer Ziege! Bei den Befruchtern handelt es sich also um Satyrn. Baudolino ist nur kurz irritiert; seine Liebe zu Hypatia wird dadurch nicht beeinträchtigt.

Rückreise

Während des Aufenthaltes in Pndapetzim befreundet er sich mit dem stets verhüllten Diakon, der ihm verrät, dass er an der Existenz des Priesterkönigs zweifle. Eines Tages wirft er seinen Schleier ab und zeigt Baudolino sein von Lepra zerfressenes Gesicht. Bald darauf stirbt er.

Beim Angriff der Weißen Hunnen auf Pndapetzim im Jahr 1197 kommt Ardzrouni durch einen Giftpfeil ums Leben. Die Hypatien werden von den Satyrn in unzugänglichen Bergregionen in Sicherheit gebracht, und Hypatia folgt ihren Schwestern: Sie opfert ihre Liebe zu Baudolino für das Kind von ihm, das sie aufziehen wird. Der 55 Jahre alte Baudolino flieht mit Gavagai und seinen Gefährten vor den Angreifern nach Westen.

Sie werden von Kynokephalen – hundköpfigen Wesen auf Menschenleibern – gefangen. Mit Hilfe von Gavagai, der bis zum letzten Atemzug gegen die Kynokephalen kämpft und sie dadurch aufhält, gelingt es Baudolino und seinen Gefährten zu entkommen. Roch-Vögel tragen sie in großer Höhe nach Konstantinopel. Als sie unterwegs Karawanen ziehen sehen, glaubt Solomon, die zehn verlorenen Stämme Israels entdeckt zu haben und lässt sich fallen.

Konstantinopel

1204 trifft Baudolino wieder in Konstantinopel ein. Die Stadt wird gerade von den Venezianern und den Rittern des 4. Kreuzzuges eingenommen.

Inmitten der Wirren fordert der Poet die Gefährten Boron, Kyot und Boidi auf, zu ihm in eine Krypta zu kommen. Heimlich verfolgt Baudolino, was sich da abspielt. Der Poet wirft jedem der drei Männer vor, Barbarossa in dem von innen verriegelten Schlafgemach umgebracht zu haben, ohne zu wissen, dass auch die beiden Gefährten Maßnahmen zur Ermordung des Kaisers durchführten. Der Poet hat es auf die Reliquie abgesehen, in der Zosimos den Gradal versteckte und zwingt Boron, Kyot und Boidi, ihre von Ardzrouni angefertigten Johannes-Köpfe zu öffnen. Doch in keinem davon befindet sich die Schale. Da begreift Baudolino, dass er die Köpfe unabsichtlich vertauscht hatte, bevor Zosimos einen davon an sich nahm. Er tritt aus seinem Versteck hervor und zeigt den anderen, dass sich die Holzschale in seinem Johannes-Kopf befindet. Die ganze Zeit über hat sie Baudolino auf der Suche nach dem Gradal und dem sagenhaften Reich des Presbyters Johannes ahnungslos mit sich herumgetragen! Nach allem, was er gehört hat, beschuldigt er den Poeten als Mörder seines Adoptivvaters, und als dieser sich wütend mit seinem Schwert auf ihn stürzt, erdolcht er ihn. So ist der Poet der erste und einzige Mensch, den Baudolino tötet.

Zosimos befindet sich ebenfalls in Konstantinopel. Er besaß nie eine Landkarte und wusste auch nicht, wo er nach dem Reich des Priesterkönigs hätte suchen sollen. Nach seiner Flucht irrte er umher und gelangte schließlich in eine christliche Stadt, deren Bürger ihn für den letzten überlebenden der zwölf Magier aus dem Morgenland hielten und entsprechend verehrten. Dann machte er einen Fehler und kündigte der Gemeinde an, den Gradal herzuzeigen, von dem er glaubte, er befinde sich in seiner falschen Reliquie. Als die Leute den Betrug entdeckten, stachen sie ihm die Augen aus und schlugen ihn zum Krüppel. Jetzt bettelt er um Almosen.

Nachdem sich die früheren Freunde getrennt haben, rettet Baudolino am 14. April 1204 in der Hagia Sophia Niketas Choniates, einen früheren Kanzler des Byzantinischen Reiches, vor den Plünderern aus dem Kreuzfahrerheer. Während Baudolino mit Niketas Choniates und dessen Familie aus Konstantinopel flieht, erzählt er ihm seine Geschichte. Der ruft am Ende Paphnutios, einen griechischen Ingenieur, der nach dem Versagen einer von ihm konstruierten Maschinen geblendet wurde, damit ihm Baudolino die verschiedenen Mutmaßungen über die Ermordung Friedrich Barbarossas vortragen und sein Urteil hören kann. Anhand der Schilderungen widerlegt Paphnutios die vier Mordtheorien und deckt auf, wie es wirklich war. Der Kaiser war gar nicht tot, als Baudolino und seine Gefährten ihn am 10. Juni 1190 fanden. Er kam erst kurze Zeit später ums Leben …

Entsetzt über das, was ihm durch Paphnutios‘ Beweisführung klar geworden ist, setzt sich Baudolino nackt auf die längst verlassene Eremitensäule am Stadtrand und bleibt dort oben bei jedem Wetter. Die Menschen strömen zu dem Säulenheiligen und erwarten Wunder von ihm, doch als er einem Mann die Wahrheit über den Tod seines Sohnes sagt, wird er beinahe gesteinigt. Da klettert Baudolino von der Säule und macht sich auf den Weg, um Hypatia und das Reich des Presbyters Johannes zu suchen.

Geschichtenerzähler

Niketas Choniates erzählt Paphnutios die Geschichte von Baudolino. Der hält sie von vorn bis hinten für erlogen und rät ihm, sie für sich zu behalten. Niketas Choniates bedauert das: „Es war eine schöne Geschichte. Schade, dass sie nun niemand erfährt.“ Aber Paphnutios entgegnet ihm: „Glaub nicht, du wärst der einzige Geschichtenverfasser in dieser Welt. Früher oder später wird sie jemand erzählen, der noch verlogener ist als Baudolino.“ (Er behielt Recht: Im Jahr 2000 brachte Umberto Eco die Geschichte zu Papier.)

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Wie in „Der Name der Rose“ beweist Umberto Eco auch hier sein enormes Wissen über die Kulturgeschichte des Mittelalters. Obwohl es in der Mitte und am Ende des knapp 600 Seiten langen Romans „Baudolino“ auch wieder um einen Kriminalfall – nämlich die Ermordung Barbarossas – geht, handelt es sich nicht um einen Thriller, sondern um einen Schelmenroman, in dem der Autor seine Fabulierlust voll auslebt. Warum wurde Karl der Große heilig gesprochen? Was hat es mit den Gebeinen der Heiligen Drei Könige in Köln auf sich? Wieso zog Kaiser Friedrich I. in den 3. Kreuzzug? Ertrank er tatsächlich beim Baden im Saleph? In diesem Buch erhalten wir (nicht so ganz ernst gemeinte) Antworten auf diese und andere Fragen. In der pikaresken Geschichte des mittelalterlichen Münchhausen wimmelt es von witzigen Einfällen und fantasievollen Fabelwesen mit bizarren Verhaltensweisen. Das habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Mit den unerwarteten Wendungen am Ende und der (hier nicht verratenen) Schlusspointe hat Umberto Eco aber noch eins draufgesetzt.

Kein Wunder, dass die 210 000 Exemplare der Erstauflage der deutschen Übersetzung 2001 innerhalb von zehn Tagen vergriffen waren.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

Umberto Eco (kurze Biografie / Bibliografie)

Umberto Eco: Der Name der Rose
Umberto Eco: Nachschrift zum Namen der Rose
Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel
Umberto Eco: Die Insel des vorigen Tages
Umberto Eco: Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana
Umberto Eco: Nullnummer

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