Mark Costello : Paranoia

Paranoia
Originalausgabe: Big If W. W. Norton & Co, New York / London 2002 Paranoia Übersetzung: Hans M. Herzog Wilhelm Goldmann Verlag, München 2004 ISBN 3-442-30103-3, 431 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Während der Informatiker Jens Asplund unter der Bezeichnung "Big If" ein kriegerisches, amoralisches Internet-Spiel programmiert und dabei jede Eventualität einzubauen versucht, arbeitet seine Schwester Vi beim Personenschutz des Secret Service, der den US-Vizepräsidenten im Wahlkampf mit grotesken Maßnahmen perfekt vor Attentätern zu schützen versucht. Aber das Leben ist unberechenbar.
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Kritik

Detailreich beschreibt Mark Costello den American Way of Life. Dabei konzentriert er sich nicht auf einen Protagonisten, sondern widmet sich mehr als einem Dutzend Figuren – obwohl "Paranoia" durch dieses Übermaß den erzählerischen Schwung einbüßt.
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Violet („Vi“) wuchs zusammen mit ihrem vier Jahre älteren Bruder Jens bei ihren Eltern Evelyn und Walter Asplund in Center Effing, New Hampshire, auf. Ihr Vater arbeitete als Schadensachverständiger für die Casualty Corporation of Connecticut. Von ihrem neunten Lebensjahr an durfte Vi ihn zu Katastrophenorten begleiten. Walter Asplund war Atheist und strich auf jedem Dollarschein, der durch seine Hand ging, das Wort „God“ aus und schrieb „Us“ darüber: „In Us We Trust“.

Als der Vater stirbt, ist Vi fünfundzwanzig, unverheiratet und teilt sich mit Dawn Imperiali, einer Zollfahnderin am Flughafen JFK, eine Wohnung in New Jersey. Während Dawn sich vorwiegend mit Drogenkurieren beschäftigt, die so lange festgehalten werden, bis sie die vor dem Abflug in Südamerika geschluckten Kokainpäckchen ausgeschieden haben (vgl.: „Maria voll der Gnade“), arbeitet Vi seit dem Studium für den Secret Service in New York und geht Betrügereien und Morddrohungen nach.

Jens ist inzwischen verheiratet, mit Petulia („Peta“), der Tochter des reichen Bestattungsunternehmers Phil Boyle, der mit Walter Asplund befreundet war. Das Ehepaar hat einen Sohn: Kai. Peta ist der Star unter den Immobilienmaklern bei Moss Properties. Jens entwickelt für die Software-Schmiede Big If ein komplexes kriegerisches Multiplayer-Rollenspiel fürs Internet, das wie die Firma (und der Titel der Originalausgabe des Romans von Mark Costello) heißen soll: Big If. Die Programmierung obliegt Jens und seinem Kollegen Vaughn Naubek, die Vorlagen für die Figuren stammen von der Künstlerin Phoebe Rosenthal. Bei dem Spiel können sich rund um den Globus Teilnehmer einloggen und auf dem Bildschirm von einer Figur repräsentieren lassen. Es geht darum, sich nach Los Angeles durchzuschlagen. Um unterwegs nicht zu verdursten oder zu verhungern und sich gegen Angriffe von Rivalen und Monstern verteidigen zu können, müssen sich die Teilnehmer entsprechend ausrüsten und versorgen. Das dafür benötigte Geld verdienen sie beispielsweise, indem sie sich Mitspielern als Reiseleiter oder Bodyguards andienen.

Im Vorgriff auf das Vermögen, das Jerzy Czoll, der Vorstandsvorsitzende von Big If, mit dem Spiel verdienen möchte, sucht dessen Ehefrau Lauren nach einem passenden Anwesen und gehört zu Peta Asplunds Kundinnen.

Nach drei Jahren hat Vi genug von ihrer bisherigen Tätigkeit, lässt sich zum Personenschutz versetzen und wird Fahrerin von Gretchen („Gretch“) Williams, der fünfundvierzig Jahre alten Leiterin der für den Personenschutz des Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten verantwortlichen Gruppe. Die Afroamerikanerin hatte als Streifenpolizistin in Los Angeles angefangen. Damals ging sie drei Jahre lang mit Carlton Imbry, einem Detective der Mordkommission, aber die Beziehung scheiterte, als sie schwanger wurde und ihren Sohn Tevon Joseph Williams gebar. Wenn sie den Vizepräsidenten, der den Präsidenten ablösen möchte, bei seinen Wahlkampfreisen begleitet, vertraut die allein erziehende Mutter ihren Sohn Tevon ihrer verwitweten Mutter Mildred an. In ihrer gehobenen Besoldungsstufe ist Gretchen neben der vierzehn Jahre jüngeren Debbie Escobedo-Waas, der rechten Hand des Direktors, die einzige Schwarze beim Secret Service.

Gretchens Stellvertreter, Lloyd L. Felker, gilt als profunder Theoretiker. Er schrieb siebenundfünfzig grundlegende Abhandlungen über den Secret Service. Doch als er immer wieder Sicherheitslücken aufzeigte, wurden seine Vorgesetzten nervös und schoben ihn zum Personenschutz ab.

Vis Kollege Tashmo, ein Vietnam-Kriegsveteran, war Felkers bester Freund. Trotzdem hatte er – während seine eigene Ehefrau Shirl mit seiner Tochter Jeanette schwanger war – mit Felkers Ehefrau Lydia 1980/81 sieben Monate lang ein Verhältnis und zeugte mit ihr den Sohn Jasper John. Felker ahnte nichts davon, bis Lydia ihm von sich aus die Wahrheit gestand.

Während einer Mississippi-Überschwemmung fliegt der Vizepräsident ins Katastrophengebiet und stellt sich in Hinman, Illinois, vor die Pressefotografen und Fernsehkameras. Gegen den Willen Gretchens geht Lloyd Felker los, um den Opfern zu helfen. Gretchen befiehlt Vi, ihn zurückzubringen. Aber Vi und Lloyd werden von den Wassermassen mitgerissen. Vi meldet sich kurz darauf wieder bei ihrem Team; Felker bleibt verschollen.

Boone Saxon, der leitende Ermittlungsbeamte in Sachen Drohungen beim Secret Service, erhält den Auftrag, nach dem Vermissten zu suchen. Er verfolgt Beträge, die mit Felkers Kreditkarte bezahlt wurden: in St. Louis, Kansas City, Denver, Las Vegas. In Laughlin stellen er und seine Leute einen Autodieb aus Chicago, der die Karte bei sich hat. Er verbüßte eine langjährige Gefängnisstrafe, als der Mississippi über die Ufer trat und die Häftlinge bei den Hilfsarbeiten eingesetzt wurden. Dabei entkam er und traf auf Felker, der sich an einen Wohnwagen in den Fluten klammerte. Bei German Gap, Missouri, wurden sie an Land gespült. Felker schien tot zu sein, und der Gauner nahm ihm die Brieftasche ab.

Felker wird schließlich ebenfalls gefunden: als freiwilliger Helfer bei einer Erste-Hilfe-Station in German Gap. Boone Saxon lässt ihn zur Zentrale des Secret Service in Beltsville bringen. Ein erneuter Einsatz Felkers erscheint den Verantwortlichen zu riskant, aber sie wagen es auch nicht, den Mann zu entlassen, denn er könnte aus Frustration sein enormes Insider-Wissen an radikale Gegner eines US-Politikers verkaufen. Also schieben sie ihn zu einer Hilfseinheit nach Boston ab. Dort bildet Felker sich ein, die Fremdenführerin Ranger Nguyen beschützen zu müssen. Die Tochter vietnamesischer Einwanderer fühlt sich dadurch paradoxerweise bedroht und ruft einen Freund ihres Vaters zu Hilfe, und der Kriegsveteran erschießt Felker.

Ungeachtet es Protests von Gretchen bestehen die PR-Berater des Vizepräsidenten darauf, dass dieser sich beim Jogging in einer Wohngegend filmen und fotografieren lässt. Ein Jogger ist für einen mit einem Gewehr ausgerüsteten Attentäter ein leichtes Ziel. Gretchen lässt die vorgesehene Strecke mehrmals abfahren und den Wald in der Nähe durchsuchen. Bevor der Vizepräsident eintrifft, werden Kreuzungen gesperrt, obwohl es dadurch im morgendlichen Berufsverkehr zu einem Chaos kommt. Zahlreiche Sicherheitsbeamte gehen mit automatischen Waffen in Stellung. Damit keine Bomben ferngezündet werden können, unterbrechen Fernmeldetechniker mit einem Störsender jeden Funkverkehr im Umkreis von 2000 Metern: Handys, schnurlose Telefon- und Internet-Verbindungen, Fernsehgeräte, ferngesteuerte Spielzeuge.

Jens und Peta Asplund gehören zu den Menschen, die zu einer Wahlveranstaltung des Vizepräsidenten und seiner Partei auf den Marktplatz in Portsmouth, New Hampshire, strömen. Jens erkennt Vaughn Naubek, der von Big If inzwischen entlassen wurde, aber als er seinen früheren Kollege ruft, taucht dieser in der Menge unter.

Vi und ihre neununddreißigjährige, zum dritten Mal verheiratete Kollegin Bobbie Taylor-Niles, die sich auf Dienstreisen jeweils das Zimmer teilen und sich beim Anlegen der Kevlarwesten und der Verkabelung der Handmikrofone und Ohrlautsprecher helfen, bereiten sich auf den Wahlkampfauftritt in Portmouth vor. Gretchen lässt noch rasch eine Treppe an der linken Seite der auf dem Marktplatz aufgebauten Bühne abmontieren, um nur den Zugang von rechts kontrollieren zu müssen. Nachdem Parteifreunde des Vizepräsidenten ihre Reden gehalten haben, trifft dieser mit seinem Konvoi hinter der Bühne ein.

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Vi, Gretchen, Bobby und Tashmo bahnen dem Vizepräsidenten den Weg durch die Menge zum Bühnenaufgang und schirmen ihn ab. Die Menschen bilden eine Gasse. Ein Mann bleibt stehen und zieht eine Pistole. Vi sieht es, kommt jedoch nicht an ihr Handmikrofon, weil sie so eingekeilt ist. Tashmo schreit als Erster: „Waffe! Waffe!“ Er, Bobby und Gretchen drängen den Vizepräsidenten zurück. Die Scharfschützen auf den Dächern visieren den Mann mit der Waffe an. Vi wirft sich auf ihn, wird jedoch von ihm niedergeschlagen. Hilflos liegt sie am Boden, während er die Pistole hebt. Vi wundert sich, dass er nicht auf den Vizepräsidenten zielt, sondern nach oben zu den aufsteigenden Luftballons blickt. Der erste Schuss der Scharfschützen trifft ihn in den Rücken, der zweite in den Kopf. Es stellt sich heraus, dass seine Pistole gar nicht geladen war, und in seiner Brusttasche wird ein zerfetzter Zettel gefunden, aus dem hervorgeht, dass es sich um einen inszenierten Suizid handelte. Die Papiere des Toten lauten auf den Namen Vaughn Naubek.

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In seinem Roman „Paranoia“ porträtiert Mark Costello eine paranoide Gesellschaft. Im Amerikanischen bedeutet „Big If“ – so der Titel der Originalausgabe – einen bedrohlichen Augenblick mit einer noch nicht konkretisierten Gefahr. Während der Informatiker Jens unter der Bezeichnung „Big If“ ein kriegerisches, amoralisches Internet-Spiel programmiert, in dem gewissermaßen der Ausnahmezustand herrscht, und dabei jede Eventualität einzubauen versucht, führt der Secret Service groteske Kontrollmaßnahmen zum Schutz des Vizepräsidenten vor Attentätern durch, obwohl das Leben sich immer wieder als unberechenbar erweist. Detailreich beschreibt Mark Costello den American Way of Life zwischen Alltag, Internet, Wahlkampf, Familienstress und Ehebruch, Fast Food und der Angst um den Job. Dabei konzentriert er sich nicht auf einen Protagonisten, sondern widmet sich locker und unaufgeregt mehr als einem Dutzend Figuren – obwohl „Paranoia“ durch dieses Übermaß den erzählerischen Schwung einbüßt.

Mark Costello war Staatsanwalt. 1997 veröffentlichte er seinen Debütroman: „Bag Men“ unter dem Pseudonym John Flood.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

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