Nickolas Butler : Die Herzen der Männer

Die Herzen der Männer
Originalausgabe: The Hearts of Men HarperCollins/Ecco, New York 2017 Die Herzen der Männer Übersetzung: Dorothee Merkel Klett-Cotta, Stuttgart 2018 ISBN: 978-3-608-98313-5, 480 Seiten ISBN: 978-3-608-11010-4 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die naiven Pfadfinder Nelson, Trevor und Thomas verfügen bei aller Unsicherheit der Heranwachsenden über einen moralischen Kompass, Pflicht- und Ver­ant­wortungs­bewusst­sein. Sie reifen zu mutigen, cha­rakter­starken Männern heran. Ihnen gegen­über stehen moralisch verkommene Machos, die in Frauen nichts als Sexualobjekte sehen und den Geschlechtsverkehr als Macht­demonstra­tion auffassen ...
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Kritik

Nickolas Butler entwickelt die drei Generationen überspannende Handlung in vier Teilen, die 1962, 1996 bzw. 2019 spielen. Nicht in den USA sozialisierte Leserinnen und Leser mögen den Roman "Die Herzen der Männer" für nostalgisch und moralisch überfrachtet halten.
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Nelson Doughty

Nelson, das einzige Kind des Versicherungsvertreters Clete Doughty und seiner Ehefrau Dorothy, wächst in Eau Claire/Wisconsin auf. Im Sommer 1962 verbringt er zum fünften Mal einige Zeit im Camp Chippewa in Haugen/Wisconsin, und mit 13 Jahren ist er der Jüngste in der Pfadfindertruppe. Weder zu Hause noch im Sommerlager hat Nelson Freunde. Im Gegenteil: Weil er naiv, unsportlich, pflichtbewusst und ehrgeizig ist, hänseln ihn die anderen.

In diesem Sommer erlebt Nelson zum ersten Mal, dass sich ein anderer Junge mitunter schützend vor ihn stellt. Aber auch Jonathan Quick macht sich einen Spaß daraus, Nelson zu erschrecken, und am Ende sorgt er dafür, dass Nelson aufgrund eines verlorenen Wettkampfes vor den Augen der anderen nach einem in die Latrine geworfenen Nickel suchen muss. Dass Nelson sich dieser demüti­gen­den Herausforderung stellt, verschafft ihm Respekt, und er zieht daraus die Lehre, dass man sich auf niemanden verlassen kann.

Am Ende verrät Nelson dem Lagerleiter eine Gruppe, die nicht nur verbotener­weise raucht und trinkt, sondern auch auf einem zwischen Baumstämmen gespannten Laken Pornofilme anschaut. Das tut er nicht, um sich zu rächen, sondern weil er es für seine Pflicht hält, das unmoralische Treiben zu beenden.

Als er wieder bei den Eltern ist, trennen sich diese, und der gewalttätige Vater verlässt das Haus. Nelson wendet sich an Wilbur Whiteside, den Leiter des Camp Chippewa. Der 80-jährige Veteran des Ersten Weltkriegs ist überzeugt davon, dass Nelson nicht nur klug, sondern auch anständig ist und seinen Weg machen wird. Er verschafft ihm einen Platz an der Saint John’s Military Academy.

Nach der weiteren Ausbildung in West Point kämpft Nelson Doughty als Elitesoldat im Vietnam-Krieg. Danach schlägt er sich zehn Jahre lang mit Gelegenheitsjobs durch, bis er als Nachfolger des verstorbenen Wilbur Whiteside die Leitung des Pfadfinderlagers in Haugen übernimmt.

Trevor Quick

Jonathan Quick ist zwei Jahre älter als Nelson Doughty. Im Sommer 1962, im Camp Chippewa, wird er als abenteuerlustig, furchtlos, selbstbewusst und dominant geschätzt.

Im Sommer 1996 fährt der inzwischen 49 Jahre alte, seit 25 Jahren verheiratete Vorstandsvorsitzende der Quick Spedition den 16-jährigen Sohn Trevor zum Camp Chippewa, das inzwischen nach dem verstorbenen langjährigen Leiter in Whiteside-Pfadfinder-Reservat umbenannt wurde. Trevors Mutter Sarah bleibt in Eau Claire zurück. Unterwegs kritisiert Jonathan Quick seinen Sohn: „Ich sage dir, du bist der langweiligste, verklemmteste Teenager, der mir jemals begegnet ist.“

Für den Abend vor dem Beginn des Sommerlagers hat sich Jonathan mit seinem alten Freund Nelson Doughty und mit Deanna Tolbert, der Ehefrau eines Rechtsanwalts in Milwaukee, zum Essen verabredet. Erst im Restaurant begreift Trevor, dass Deanna die Geliebte seines Vaters ist. Er ist entsetzt über die Untreue. Aber Jonathan wollte dem naiven Jungen, der nach einem halben Jahr noch immer keinen Sex mit seiner festen Freundin Rachel Gunderson hatte, bewusst die Augen über das öffnen, was er für die Realität hält.

Nach dem Essen bringen die Männer Deanna ins Motel und fahren dann mit Trevor nach Hurley, wo sie mit ihm in ein Striplokal gehen. Zum ersten Mal sieht Trevor eine nackte Frau – und ist hingerissen von der Stripperin Aspen.

Nach dem Literatur-Studium meldet sich Trevor zum Militär und kämpft als Elitesoldat in Afghanistan. Er fällt nicht in einem Einsatz, sondern wird während eines Heimaturlaubs nach einer Auseinandersetzung mit einem Betrunkenen in Wisconsin erschossen. Das geschieht 2003. Seine Witwe Rachel ist zu diesem Zeitpunkt schwanger.

Thomas Quick

Im Sommer 2019 bringt Rachel ihren Sohn – wie schon in den Jahren zuvor – ins Whiteside-Pfadfinder-Reservat.

Die beiden – sie ist jetzt 39, er 16 Jahre alt – wohnen in einem Farmhaus außerhalb von Menomonie/Wisconsin, das Trevor knapp ein Jahr vor seinem Tod mit Rachel zusammen gekauft hatte.

Rachel, die einmal verwitwet und zweifach geschieden ist, freut sich auf das Wiedersehen mit ihrem väterlichen Freund Nelson Doughty, der inzwischen knapp 70 Jahre alt ist. Er vertraut ihr an, dass dies sein letzter Sommer als Lagerleiter sein wird. Vergeblich hat er sich gegen die Digitalisierung im Camp gestemmt: Die Teilnehmer spielen inzwischen lieber mit ihren Smartphones als am Lagerfeuer zu sitzen.

„Es ist alles in ihre Handys eingebaut – Kompasse, Kameras, Fernseher, Filme, Musik, Uhren, Karten, Notizbücher, Taschenrechner …“

Nelson will mit seiner in Haugen/Wisconsin lebenden Freundin Lorraine, deren Ehemann bei einem unter Alkoholeinfluss selbst verschuldeten Autounfall ums Leben kam, ein Haus in Costa Rica kaufen und dort den Lebensabend verbringen.

Die mit ihren Sprösslingen ebenfalls angereisten Väter im Camp wetteifern mit rechtspopulistischen, rassistischen und frauenfeindlichen Äußerungen. Dass ihnen die Anwesenheit einer Frau missfällt, lassen sie Rachel unmissverständlich wissen. Vor allem der Arzt Dr. Phillip Platz macht ihr zu schaffen. Nachdem sie ihn mehrmals zurückgewiesen hat, betäubt er sie mit einem unbemerkt in ihren Tee gemischten Schlafmittel und vergewaltigt die Bewusstlose in ihrer Hütte.

Als Nelson Doughty nach Rachel schaut, schlägt Phillip Platz ihn nieder und zündet die Hütte an. Thomas kann seine Mutter noch rechtzeitig aus dem Feuer holen, aber der Greis erliegt seinen Verletzungen im Krankenhaus.

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Nickolas Butler entwickelt die 2017 veröffentlichte Geschichte in vier Teilen: „Die Herzen der Männer“ spielt 1962 („Der Trompeter“), 1996 („Stardust Supper Club & Lounge“) und 2019 („Orientierungslauf“, „Die Drakensberge“). Im Mittelpunkt stehen drei naive, unverdorbene und charakterstarke Pfadfinder: Nelson Doughty (*1949), Trevor Quick (*1980) und Thomas Quick (*2003). Sie repräsentieren drei Generationen. Der 2019 datierte Handlungsteil dreht sich allerdings weniger um den 16-jährigen Thomas Quick als um dessen Mutter Rachel, eine starke Frau, die mit rechtspopulistischen und rassistischen Machos konfrontiert wird, die in Frauen nichts als Sexualobjekte sehen und Geschlechtsverkehr als Macht­demonstra­tion auffassen.

„Die Herzen der Männer“ lässt gute und schlechte Menschen aufeinander treffen. Die Heranwachsenden Nelson, Trevor und Thomas verfügen bei aller Unsicherheit über einen moralischen Kompass, Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein. Sie reifen zu mutigen, charakter­starken Männern heran und machen das Beste aus ihren Anlagen. (Dass zwei von ihnen Elitesoldaten werden, ist für die Haltung des Autors Nickolas Butler bezeichnend.) Ihnen gegenüber stehen nicht nur moralisch verkommene Männer wie der kriminelle Arzt Dr. Phillip Platz, sondern auch ambivalente Charaktere wie Jonathan Quick. „Die Herzen der Männer“ lässt sich nicht zuletzt als Abgesang auf das Ideal der wahren Männlichkeit interpretieren.

Das altmodische Pfadfinderlager, in dem die Handlung zumeist spielt, steht am Ende vor einer ungewissen Zukunft.

Nicht in den USA sozialisierte Leserinnen und Leser mögen den Roman „Die Herzen der Männer“ für nostalgisch und moralisch überfrachtet halten. Nickolas Butler erzählt konventionell und sehr ausführlich. Die Sprache ist nicht frei von missglückten Formulierungen.

Auf einem der Beistelltische stand ein riesiger Glaskrug mit Limonade, der so heftig in Schweiß ausgebrochen war, als würde er gerade einem brutalen Verhör unterzogen.

Nickolas Butler (*1979) wuchs in Eau Claire/Wisconsin auf – der Stadt, in der auch einige der Romanfiguren wohnen. „The Hearts of Men“ / „Die Herzen der Männer“ ist nach „Shotgun Lovesongs“ sein zweiter Roman.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2018
Textauszüge: © J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger

Friedrich Ani - Süden und der Straßenbahntrinker
Obwohl Friedrich Ani in "Süden und der Straßenbahntrinker" – einem Kriminalroman mit Münchner Lokalkolorit – eine skurrile Geschichte erzählt, wirken die Haupt- und Nebenfiguren lebensnah.
Süden und der Straßenbahntrinker