Laura Bruning : Der König des Sterbens

Der König des Sterbens
Der König des Sterbens Originalausgabe: Gorilla Verlag (Inh. Laura Bruning), Halle 2017 ISBN: 978-3-9816897-3-0, 224 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Drei langjährige Freunde sitzen schon ziemlich betrunken in der Spelunke "Sputnik Zwei", als ein Frack tragender Gast herein­kommt und von der Bardame Marlene als "Herr König" begrüßt wird. Ungefragt setzt er sich zu Kutte, Philip und Dimitri an den Tisch und kündigt ihnen ihren Tod noch in derselben Nacht an. Die Angesprochenen halten den Fremden zunächst für einen Spinner. Dann suchen sie nach versteckten Fernsehkameras. Plötzlich liegt einer der anderen Gäste tot am Boden ...
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Kritik

Mit einer originellen Groteske veranschaulicht Laura Bruning die Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins. Ihr Einfallsreichtum und die pointierten Dialoge machen den absurden, tragikomischen Roman "Der König des Sterbens" zu einer unterhaltsamen Lektüre mit Niveau.
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Kutte, Philip und Dimitri

Statt in ihrer Kneipe „Chubby“ landen Peter („Kutte“) Kutowski, Philip Göding und Dimitri Ribarević an diesem Abend in der Spelunke „Sputnik Zwei“.

Die Freunde kennen sich seit Schulzeiten. Bis vor einiger Zeit waren sie zu viert, und wenn einer von ihnen in einem pinkfarbigen Kinderzelt aufwachte, wusste er, dass er in Schröders Schlafzimmer lag. Dort stand das „Erdungszelt“, in denen sie durch verschiedenste Substanzen ausgelöste Kurzzeit-Psychosen und Abstürze überstanden. Aber Schröder machte sich mit Drogen das Gehirn kaputt und sprang aus dem Fenster. Den Aufprall überlebte er. Danach stürzte er sich vom Krankenhausdach. Das war um einiges höher.

Kutte versucht, mit klugen Ansichten zu punkten, aber die anderen nehmen seine Erläuterungen nicht ernst. Dabei war er in sechs verschiedenen Studiengängen ziemlich weit gekommen.

Philip verdient sein Brot als Hauptschullehrer.

Dimitris Eltern waren bettelarm aus Kroatien gekommen. Er erzählt gern von seiner angeblichen Kindheit auf dem Balkan, wurde jedoch in Wirklichkeit in Deutschland geboren, war nie in Kroatien und weiß gar nicht genau, wo es liegt. In der hinterwäldlerischen Dorfschule, die er mit den anderen besuchte, hielt er sich mit Abschreiben über Wasser. Inzwischen hat er eine Menge Geld gemacht, und zwar mit Firmen und Produkten, die er sich ausdenkt, Traumfabriken, für die er Websites einrichtet und die er dann an Investoren verkauft.

[…] egal wie talentiert und fleißig du bist, egal wie viel Herzblut und Mühe du in etwas steckst – es kommt immer ein Faulenzer, ein Durchmogler, der besser ist.

Kutte, Philip und Dimitri sind nicht allein in der Kneipe. Hinter der Bar steht Marlene mit einem scharlachroten Herzmund. An der Theke hocken vier feiste Fettsäcke, und am Nebentisch sitzt ein Mann mit zwei Prostituierten. Außerdem steht trotz des nasskalten Wetters die ganze Zeit ein Kettenraucher vor der Tür.

Herr König

Der Raucher hält einem Frack und Halstuch tragenden Herrn ehrerbietig die Tür auf, und Marlene begrüßt den neuen Gast mit „Herr König“. Nachdem er sich umgeschaut hat, zieht er sich einen freien Stuhl an den Tisch der drei Freunde, setzt sich zu ihnen und erklärt:

„… Ihr drei werdet diesen Abend bedauerlicherweise nicht überleben. Nehmt mich beim Wort. Jeder von euch macht noch exakt drei Schritte aus dieser Tür …“ Er weist auf die massive, schwarze Holztür nach draußen. „… Und dann muss er sterben.“

Kutte und Philip nehmen zunächst an, der mit „König“ Angesprochene sei ein Bekannter von Dimitri, aber der beteuert, den „Vogel“ nicht zu kennen und wendet sich an den Herrn:

„Was willst du uns hier erzählen? Was soll da draußen passieren? … Hm? … Hm? – Fällt mir ein Klavier auf den Kopf, wenn ich nach Hause gehe?“

„Dima, komm … Scheiß drauf. Lass … Lass den Idioten einfach“, wirft Kutte zurückhaltend ein.

Der Unbekannte amüsiert sich sichtlich über die Reaktionen der Betrunkenen. Dimitri formt mit der Hand eine Pistole, zielt schließlich auf einen der Männer an der Theke und ruft „Piu!“. Im selben Augenblick hat König einen Kipplaufrevolver in der Hand und jagt dem Fettsack eine Kugel in den Hinterkopf.

Obwohl Marlene mit Blut besprüht wird, bevor der Getroffene zu Boden geht, arbeitet sie ruhig weiter.

Niemand schreit – niemand flüchtet oder wirft sich schützend auf den Boden. Alle nehmen bloß kurz wahr, was passiert ist und kümmern sich dann wieder um sich selbst.

Nur die drei Freunde rufen aufgeregt durcheinander:

„Alter … Scheiße! Scheiße, scheiße, scheiße … Was zur Hölle war das denn?“ Schweißperlen bilden sich auf Philips Stirn.
[…] Dimitri zeigt mit ausgestrecktem Finger auf den König […] „Ich rufe jetzt die Bullen, du kranker Bastard.“


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


 

Polizei

Bald nachdem Dimitri die Polizei alarmiert hat, betreten zwei Uniformierte das Lokal. Dimitri deutet auf den König genannten Mann und berichtet, der habe „einfach so den Typen da umgebracht“. „Einfach so?“, fragt einer der Polizisten.

„Der kam hier einfach an und dann … Dann … Haben wir hier etwas rumgespaßt und … Und im nächsten Moment pustet er ihm die Birne weg!“
„Aha! Das ist ja etwas ganz anderes als einfach so. Sie müssen schon die Wahrheit sagen, wenn Sie mit der Polizei sprechen.“

Ohne sich die Leiche näher anzusehen oder die Anwesenden weiter zu befragen, gehen die beiden Polizisten. Dimitri wählt daraufhin erneut die 110. Man hört ihn sagen:

„Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass das Ihre Leute waren!“
[…] „Ich soll was? Sie nicht mehr belästigen?!“

Der König des Sterbens

Marlene bedient weiter und steigt dabei über den Toten am Boden hinweg.

Philip sucht nach verborgenen Fernsehkameras. Als die drei Freunde ungläubig fragen, ob der Fremde tatsächlich etwas über ihren Tod wisse, meldet sich einer der schweigsamen Fettsäcke von der Theke zu Wort: „Das ist der König des Sterbens, Junge.“

Nachdem die beiden Frauen und der Mann vom Nebentisch das Lokal verlassen haben, setzt Marlene sich zu Kutte, Philip, Dimitri und dem „König des Sterbens“ an den Tisch. Welche Sekunde ihres Lebens die drei Freunde nicht verschwendet hätten, fragt sie rhetorisch.

„Zeitverschwendung, dass ich nicht lache! Ihr meint, es gäbe nicht verschwendete Zeit? Und ihr wollt sie suchen, ja?“

Gerade will Dimitri etwas zu Marlene sagen, da zerfällt die Bienenkönigin in kleinste Elemente ihres Staates, die den Tisch zornig umkreisen. Einzelne Arbeiterinnen zeichnen sich immer deutlicher ab, lösen sich vom Organismus und fliegen davon. Marlene wird zum Schwarm. Fliegt auseinander, dann wieder zusammen. Die Bienen drängen sich dicht aneinander und bilden nur noch grob die Form einer Frau. Dimitri will sie anfassen, doch der Schwarm weicht seiner behäbigen Hand mit Leichtigkeit aus.

Sie alle reden seit einer Weile mehr als sie denken.

Als Dimitri durch die Tür ins Freie geht und herausfordernd „eeeeeins … zweeei …“ zählt, verabschieden sich die drei überlebenden Fettsäcke, und Dimitri muss aufpassen, als sie sich an ihm vorbeizwängen. Philip steht auf und nennt Dimitri einen Feigling. Schließlich schreit er: „Dann mach doch deinen dritten Schritt!“ Und versetzt dem Freund einen Tritt.

Dimitri stürzt über die Treppe hinunter und bleibt mit verrenktem Körper liegen.

Entsetzt ruft Philip den Notdienst. Während er auf dessen Eintreffen wartet, haut er dem grinsenden „König des Sterbens“ ins Gesicht.

Sein Kopf dreht sich in den Schlag hinein – er beginnt zu rotieren. Immer schneller. Dann stoppt er plötzlich und schraubt sich langsam, grinsend und knirschend zurück in eine glaubwürdigere Lage.

Endlich nähert sich Blaulicht. „Na, was haben wir denn hier?“, meint die Ärztin, deren Armbinde signalisiert, dass sie blind ist. Dann wendet sie sich an ihren Assistenten:

„Patient hat das Zeitliche gesegnet. Eintüten und wegpacken, Gordo.“

Während sich die blinde Notärztin wieder ins Fahrzeug setzt, holt Gordo einen Leichensack und legt den Toten hinein, ohne auf Philips hysterischen Protest zu achten.

Philip jault wie ein Hund und weint erbittert. „Das kann doch alles nicht wahr sein! Dimi!“

Als der Notarzt-Wagen fort ist, meint Philip, Dimitri habe sich einen Streich ausgedacht und seine Freunde hereingelegt. Der lache sich jetzt kaputt und werde ihnen morgen mitteilen, dass sie in einem Livestream zu sehen waren.

Philip hat genug. Er fragt Kutte, ob sie sich ein Taxi teilen wollen, aber der Angesprochene bleibt sitzen. An der Tür sagt Philip noch, das sei alles ein Fake. Dann ist ein dumpfer Aufprall zu hören.

Kutte packt die auf dem Tisch liegende Schusswaffe, und der Besitzer hindert ihn nicht daran. Im Gegenteil: Als Kutte den Revolver auf ihn richtet, presst er seine Stirn grinsend gegen die Mündung. Unvermittelt hält Kutte sich die Waffe gegen die eigene Schläfe und drückt ab.

Marlene löscht noch das Licht in den Kühlschränken und pustet die Kerzen aus. Dann geht sie mit dem König hinaus, und der Raucher begleitet die beiden. Die Türe lassen sie offen.

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Quentin Tarantino hätte seine Freude an dem Roman „Der König des Sterbens“, denn Laura Bruning geht mit dem, was gemeinhin als Gewaltverbrechen bezeichnet wird, ebenso zynisch und unkonventionell um wie der Filmemacher zum Beispiel in „Pulp Fiction“. Der letzte Teil des Films „From Dusk Till Dawn“ – für den Quentin Tarantino das Drehbuch schrieb – spielt nachts in einer Spelunke mit surrealen todbringenden Figuren. Die Handlung des Romans „Der König des Sterbens“ ist sogar vollständig auf eine Spelunke begrenzt und dauert gerade einmal fünf Stunden, von 22.01 Uhr bis 3.01 Uhr. Auch hier gibt es surreale Figuren, und eine von ihnen – „der König des Sterbens“ – kündigt nicht nur Todesfälle an, sondern tötet auch selbst einen Gast.

Laura Bruning hat sich eine originelle Groteske weit abseits des Mainstreams ausgedacht. Sie nennt ihr Buch „eine Kneipenschote als enigmatische Liebeserklärung an den Nihilismus“. Wie zum Beispiel Samuel Beckett in seinem absurden Theaterstück „Warten auf Godot“ veranschaulicht Laura Bruning auf tragikomische Weise die Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins. Allerdings ist „Der König des Sterbens“ fetziger und kurzweiliger. Dafür sorgen zahlreiche verblüffende Einfälle der Autorin. Man könnte den Plot als Gedankenexperiment auffassen. Während es sich bei dem rätselhaften „König des Sterbens“, der Bardame Marlene, den anderen Gästen, dem Raucher vor der Tür, den Polizisten und dem Notarzt-Team um absurde Figuren handelt, reagieren die drei Todgeweihten Kutte, Philip und Dimitri psychoLOGISCH nachvollziehbar, und dabei erweist sich Laura Bruning als genaue Beobachterin menschlichen Verhaltens.

Die Kneipengespräche erinnern an Dialoge von Sven Regener („Neue Vahr Süd“) und Frank Schulz („Kolks blonde Bräute“). Sie klingen flapsig, sind aber sorgfältig formuliert und funkeln vor Sprachwitz. (Umso unerwarteter stolpert man über den einen oder anderen kleinen Ausrutscher bei der Wortwahl.)

Die im Präsens erzählte kammerspielartige Handlung entwickelt sich bildlich wie in einem Film. Gegliedert ist „Der König des Sterbens“ in sechs Kapitel, die mit Uhrzeiten zwischen 22:01 Uhr und 03:01 Uhr überschrieben sind.

Während des Studiums der Literaturwissenschaft in Bielefeld (2010 – 2017) gründete Laura Bruning (* 1989) den Gorilla-Verlag in Halle. Das Startkapital hatte sie als Barkeeperin verdient – und dabei die Gelegenheit genutzt, Kneipenbesucher zu beobachten. „Der König des Sterbens“ ist ihr zweiter eigener Roman. Der Titel ihres Debüts lautet: „Von Göttern aus Maschinen“ (2014).

 

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Inhaltsangabe und Rezension © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © Gorilla Verlag (Inh. Laura Bruning)

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Gerbrand Bakker erzählt betont leise, langsam und lakonisch. Er evoziert eine Atmosphäre des Stillstands und der Hoffnungslosigkeit. Weil dazu auch noch die Sprache schlicht und einfach ist, handelt es sich bei "Tage im Juni" um einen spröden Roman.
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