Strange Days

Strange Days

Strange Days

Strange Days – Originaltitel: Strange Days – Regie: Kathryn Bigelow – Drehbuch: James Cameron, Jay Cocks – Kamera: Matthew F. Leonetti – Schnitt: Howard E. Smith, James Cameron – Musik: Graeme Revell – Darsteller: Ralph Fiennes, Angela Bassett, Tom Sizemore, Juliette Lewis, Michael Wincott, Brigitte Bako, Richard Edson u.a. – 1995; 135 Minuten

Inhaltsangabe

Lenny Nero handelt mit Clips in einer Technik, die nicht nur audiovisuelle Aufnahmen ermöglicht, sondern die Speicherung aller Sinneseindrücke. Immer und immer wieder schaut er sich Clips aus seiner inzwischen gescheiterten Beziehung mit der Rocksängerin Faith Justin an. Als deren Freundin Iris umgebracht wird und Lenny einen Clip von ihr findet, auf dem sie die Ermordung von zwei Schwarzen durch weiße Polizisten aufgenommen hat, glaubt er, Faith retten zu müssen  ...
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Kritik

In dem dystopischen Actionthriller "Strange Days" plädieren Kathryn Bigelow und James Cameron gegen Rassenhass und polizeiliche Übergriffe. Es handelt sich um einen hektischen, spektakulären, zugleich stilsicheren und gut gespielten Film.
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Los Angeles, Ende Dezember 1999. Lenny Nero (Ralph Fiennes) trägt ein als Superconducting Quantum Interference Device (SQID) bezeichnetes Headset und erlebt die Aufzeichnung eines Raubüberfalls auf einer Mini-Disc. Diese Technik wurde im Auftrag des FBI für Überwachungszwecke entwickelt, wird jedoch inzwischen von Schwarzhändlern wie Tick (Richard Edson) angeboten. Das drahtlos funktionierende Headset überträgt nicht nur, was der Träger sieht und hört, sondern auch, was er mit seinen anderen Sinnesorganen wahrnimmt und dabei fühlt. Auf dem umgekehrten Weg lassen sich die gespeicherten Daten über ein Headset abspielen, wobei eine andere Person künstlich in die erste versetzt wird (Replay). Diese virtuelle Wahrnehmung (Wiretripping) kann allerdings süchtig machen und eine Realitätsstörung verursachen. Lenny, ein vom LAPD entlassener Polizeibeamter, handelt mit solchen Clips. Gefragt sind Sex and Crime. Und davon gibt es in Los Angeles genug, denn die Straßenkämpfe in der Stadt haben inzwischen ein bürgerkriegsähnliches Ausmaß erreicht.

Trotzdem nimmt Lenny kaum genügend ein, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Das liegt vor allem daran, dass er sich mittels der Clips frühere Erlebnisse mit seiner damaligen Geliebten Faith Justin (Juliette Lewis) immer und immer wieder vergegenwärtigt, obwohl er sie längst verloren hat. Aus dem drogensüchtigen, auf der Straße lebenden Mädchen ist längst eine erfolgreiche Rocksängerin geworden, und sie ist mit ihrem Produzenten Philo Gant (Michael Wincott) liiert. Als Lenny in dessen Club kommt, lässt Ganz ihn durch seinen Leibwächter Wade Beemer (Michael Jace) gewaltsam hinauswerfen, und Faith will auch gar nichts mehr mit ihrem Ex-Lover zu tun haben.

Verlassen kann Lenny sich dagegen auf Lornette („Mace“) Mason (Angela Bassett), eine Afroamerikanerin, die reichen Geschäftsleuten, die in Los Angeles zu tun haben, ihre Dienste nicht nur als Bodyguard, sondern auch als Fahrerin einer Luxuslimousine anbietet. Sie hat einen kleinen Sohn. Schon wegen des Kindes will sie SQID gar nicht erst ausprobieren, aber sie beobachtet zudem mit Sorge, dass ihr platonischer Freund Lenny nicht zuletzt wegen der dauerhaften Verfügbarkeit der Vergangenheit nicht von Faith Justin loskommt und dadurch sein Leben ruiniert.

Die Edelprostituierte Iris (Brigitte Bako) flieht vor den Polizeibeamten Burton Steckler (Vincent D’Onofrio) und Dwayne Engelman (William Fichtner) in eine U-Bahnstation. Dort versteckt sie sich. Erst als bei der eingefahrenen U-Bahn die Türen geschlossen werden, springt sie hinein. Steckler schießt durchs Fenster, verfehlt sie jedoch. Er rennt neben dem anfahrenden Zug her, zertrümmert eine Scheibe und versucht, Iris durchs Fenster herauszuzerren. Aber er bekommt nur ihre Perücke zu fassen, und darin entdeckt er ein SQID-Headset. Iris hat die Verfolgung also aufgezeichnet.

Von einer Telefonzelle aus ruft Iris verzweifelt Lenny Nero an, doch sie hängt gerade auf, als er seine Wohnung betritt, das Klingeln des Telefons hört und abhebt.

Kurz darauf findet sie Lenny mit seinem besten Freund, dem Privatdetektiv Max Peltier (Tom Sizemore), an einer Bar. Dass Max von Philo Gant den Auftrag angenommen hat, Faith zu beschatten, erklärt er Lenny mit Geldnot. Außerdem gibt er zu bedenken, dass er Faith auf diese Weise beschützen könne. Iris möchte Lenny einen Clip übergeben, aber bevor es ihr gelingt, tauchen ihre Verfolger auf. Iris rennt hinaus, wirft den Clip durchs Schiebedach in Lennys vor der Tür geparkten Wagen und flieht.

Weil das Fahrzeug im Parkverbot steht, wird es abgeschleppt.

Bevor Lenny sein Auto zurück hat, wird ihm ein anderer Clip zugespielt. Darauf ist zu sehen, wie Iris in einem Hotelzimmer überfallen, mit Handschellen ans Bett gefesselt, vergewaltigt und ermordet wird. Mit Hilfe von Max findet Lenny heraus, dass Iris sich unter falschem Namen im Sunset Regent Hotel ein Zimmer nahm und bar bezahlte. Sie war also auf der Flucht. Aber vor wem? Und wer brachte sie um?

Erst jetzt findet Lenny in seinem Wagen den von Iris hineingeworfenen Clip. Sie hat ihn selbst aufgenommen. Anfangs sitzt sie mit Faith, dem politisch engagierten Rapper Jeriko One (Glenn Plummer) und einem weiteren Afroamerikaner in einem von Jeriko One gesteuerten Auto. Obwohl der Fahrer sich an die Verkehrsregeln hält, werden sie von der Besatzung eines Streifenwagens angehalten. Burton Steckler und Dwayne Engelman fordern die Insassen mit vorgehaltenen Dienstpistolen auf, auszusteigen und sich auf den Boden zu knien. Jeriko One protestiert dagegen – und wird kurzerhand erschossen, ebenso wie der andere Schwarze. Nur die beiden Frauen können fliehen.

Lenny sucht Ticks Werkstatt auf – und findet dort seinen Lieferanten am Boden liegend vor. Tick lebt zwar noch, aber jemand hat ihm mit Elektroden einen Teil des Gehirns verbrannt.

Weil Lenny annimmt, dass die Gewalttaten zusammenhängen und Philo Gant als Drahtzieher verdächtigt, befürchtet er, dass Faith das nächste Opfer sein könnte. Um sie zu retten, überredet er Mace, mit ihm eine Silvesterparty zu besuchen, bei der Faith singt.


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Als er unter den Gästen Commissioner Palmer Strickland (Josef Sommer) entdeckt, bittet er Mace, dem Polizeichef den von Iris aufgenommenen Clip zu geben. Er hat noch keine Gelegenheit gehabt, eine Kopie des Clip anzufertigen, vertraut jedoch darauf, dass Strickland nicht korrupt ist und seine Pflicht tun wird, sobald er das Beweismaterial gesehen hat.

Nach Faiths Auftritt schleicht Lenny sich zu den Hotelsuiten. Mit einem Überraschungsangriff überwältigt er Wade Beemer, der auf dem Korridor Wache gehalten hat. Philo Gant liegt wie Tick mit teilweise zerstörtem Gehirn bewusstlos am Boden. Lenny entdeckt einen Clip. Darauf ist Faith zu sehen. Jemand hat sie wie Iris mit Handschellen aufs Bett gefesselt. Aber es handelt sich weder um eine Vergewaltigung noch um Mord, sondern um ein einvernehmliches Sexspiel, und in dem Liebhaber erkennt Lenny seinen vermeintlichen Freund Max.

Der steht im nächsten Augenblick real in der Tür. Er nimmt Lenny die Pistole ab, achtet darauf, keine Fingerabdrücke darauf zu hinterlassen und erschießt Philo Gant. Sein Plan ist leicht zu durchschauen: Er will auch Lenny töten, und am Ende soll es so aussehen, als sei Philo Gant von Lenny ermordet worden. Unerwartet taucht Faith auf, und als ihr aktueller Geliebter ihren früheren erschießen will, schlägt sie ihm den Arm weg. Die Männer kämpfen auf Leben und Tod. Max rammt Lenny ein Messer in den Rücken, wird dann aber von seinem Gegner über die Balkonbrüstung geschleudert und kann sich nur noch an Lennys Krawatte klammern. Er zerrt daran und droht Lenny mit den in den Tod zu reißen, aber der zieht das Messer aus dem Rücken und schneidet damit die Krawatte durch.

Ohne Faith noch eines Blicks oder Worts zu würdigen, verlässt Lenny das Hotel und sucht nach Mace, die inzwischen von Burton Steckler und Dwayne Engelman gejagt wird, weil die Polizisten von dem Clip über die Ermordung des Rappers und seines Freundes erfahren haben. Steckler und Engelmann schießen auf Mace und treffen in der Menschenmenge auf der Straße Unbeteiligte. Mace gelingt es, die beiden Cops zu überlisten und mit Handschellen aneinander zu fesseln. Schwer bewaffnete Sondereinsatzkommandos treffen ein. Mit Schlagstöcken wird auf Mace eingeprügelt. Da steigt der Polizeichef aus einem Wagen. Er ordnet an, Mace ins Krankenhaus zu bringen und die beiden verbrecherischen Cops festzunehmen. Der eine der beiden hält sich daraufhin die Dienstwaffe in den Mund und drückt ab. Der andere schießt auf die Frau, die er als „Negerschlampe“ beschimpft. Lenny, der inzwischen hinzugekommen ist, wirft sich vor Mace und wird in den Rücken getroffen. Zum Glück handelt es sich nur um eine leichte Verletzung.

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Am frühen Morgen des 3. März 1991, einen Monat vor seinem 26. Geburtstag, wurde der afroamerikanische Taxifahrer Rodney King (1965 – 2012) in Los Angeles beim zu schnellen Fahren ertappt. Bei ihm im Auto saßen zwei seiner Freunde, mit denen er die Nacht verbracht hatte. Weil er Alkohol getrunken hatte und befürchtete, gegen seine Bewährungsauflagen zu verstoßen, versuchte er zu fliehen, wurde aber von der Polizei verfolgt und gestoppt. Drei weiße Polizisten und ein Latino misshandelten ihn mit 50 Schlägen und sechs Tritten, als er sich gegen die Festnahme wehrte. Obwohl der Polizeieinsatz von dem Amateur George Holliday gefilmt worden war, wurden die Polizisten am 29. April 1992 von einem Gericht in Simi Valley/Kalifornien freigesprochen. Daraufhin brachen in Los Angeles Unruhen aus (Los Angeles Riots), bei denen 53 Menschen getötet und mindestens 2000 verletzt wurden. Der Sachschaden überstieg eine Milliarde Dollar. Um die bürgerkriegsähnlichen Zustände zu beenden, forderte der kalifornische Gouverneur Pete Wilson US-Streitkräfte an, die am 2., 3. und 4. Mai eingriffen. – In einem weiteren Gerichtsverfahren im Frühjahr 1993 wurden die Polizisten Timothy Wind und Theodore Briseno erneut freigesprochen, Laurence Powell und Sergeant Stacey Koon aber zu je 32 Monaten Haft verurteilt.

Dieses Geschehen hallt in dem Actionthriller „Strange Days“ aus dem Jahr 1995 nach. James Cameron (Drehbuch) und Kathryn Bigelow (Regie) prangern damit Rassismus und Korruption, staatliche Willkür und polizeiliche Übergriffe an. Diese sozialkritischen Themen verbinden sich in „Strange Days“ mit einer dystopischen Tech-Noir-Fantasie über die von einer virtuellen Realität ausgehenden Risiken. Die drahtlose Speicherung von Wahrnehmungen aller Sinne und der dadurch ausgelösten Gefühle ist zwar noch nicht möglich, aber Head-Mounted Displays zur Erzeugung virtueller Realität gibt es seit den Achtzigerjahren.

Lenny Nero glaubt, Faith Justin retten zu müssen. Aber „Strange Days“ folgt dem entsprechenden Topos nur bis kurz vor dem Ende. Am Ende werden nicht die beiden Weißen in Paar, sondern der kaputte weiße Mann und die ihm überlegende schwarze Frau, die außerdem weiße Polizisten entlarvt, die aus Rassenhass gemordet haben.

„Strange Days“ legt hektisch los. Mit einem furiosen Tempo und wackelig aufgenommenen, hektisch geschnittenen Bildern wird die Atmosphäre gesetzt. Das ist spektakulär, aber zugleich auch stilsicher. Hervorzuheben sind nicht zuletzt schauspielerische Leistungen, vor allem von Ralph Fiennes.

Kathryn Bigelow und James Cameron waren übrigens von 1989 bis 1991 ein Ehepaar.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016

Kathryn Bigelow (kurze Biografie / Filmografie)

Kathryn Bigelow: Near Dark. Die Nacht hat ihren Preis
Kathryn Bigelow: Blue Steel
Kathryn Bigelow: Point Break. Gefährliche Brandung
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