John Banville : Athena

Athena
Originalausgabe: Athena, 1995 Athena Übersetzung: Lilian Faschinger Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1996
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Francie, "ein verkommener, hinkender Typ mit glitzernden Augen und einem leichten Grinsen", führt Morrow in eine alte Villa in Dublin, wo er für den zwielichtigen Geschäftsmann Morden acht niederländische Barockgemälde begutachten soll. Da ist auch noch eine schwarz gekleidete junge Frau, Mordens Frau, wie Morrow annimmt ...
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Kritik

Das Besondere an dem Roman "Athena" von John Banville ist nicht die Geschichte, von der vieles nur angedeutet wird, sondern die Art des Erzählens. Die auf Hochglanz polierte funkelnde Sprache wirkt wunderbar unangestrengt. Ein raffiniertes Buch, ein außergewöhnliches Lesevergnügen.
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Er hat sich einen neuen Namen zugelegt. Morrow nennt er sich jetzt. (Aber wir haben vermutlich Freddie Montgomery aus John Banvilles Roman „Das Buch der Beweise“ vor uns.) Der „unflotte Mitvierziger“ erwähnt auch, dass er eine Haftstrafe verbüßte. (Freddie Montgomery erschlug das Dienstmädchen, das ihn beim Diebstahl eines Gemäldes ertappte.) Hinweise auf die Bluttat in Morrows früherem Leben liefern Sätze wie dieser: „Selbst die – und mir sind etliche davon über den Weg gelaufen, das kann ich dir sagen –, die die entsetzlichsten Untaten begangen haben, können nach getaner Tat so sanft und zaghaft wirken wie jeder von… von euch (fast hätte ich uns gesagt).“

Francie, „ein verkommener, hinkender Typ mit glitzernden Augen und einem leichten Grinsen“, führt Morrow in eine alte Villa in Dublin, wo er für den zwielichtigen Geschäftsmann Morden acht niederländische Barockgemälde begutachten soll. Da ist auch noch eine schwarz gekleidete junge Frau, Mordens Frau, wie Morrow annimmt: „sehr blass, mit kurzem schwarzem Haar im Pagenschnitt … und schmalen hohen Schultern und sehr dünnen Beinen“. Er nennt sie A., A. wie Athena, wie die Göttin auf einem der acht Bilder: „Die Geburt der Athena“ von Jean Vaublin (1684 – 1721). A. auch wie Alpha. „Ich werde sie A. nennen. Einfach A. Ich habe lange darüber nachgedacht. Es ist nicht einmal der Anfangsbuchstabe ihres Namens, es ist nur ein Buchstabe, aber er klingt richtig, fühlt sich richtig an. Man denke nur daran, wie unterschiedlich er geäußert werden kann, vom Ausruf der Überraschung bis zu einem Stöhnen des Genusses oder des puren Schmerzes. Jedesmal, wenn ich ihn ausspreche, wird es anders sein. A. Mein Alpha; mein Omega.“ Morrow und A. treffen sich immer wieder nachmittags in Mordens Villa und lieben sich dort auf einer Chaiselongue. „Aber warum bin ich im Morgenmantel, wenn sie doch offensichtlich eben von draußen hereingekommen ist? Ich konnte die kleinen Splitter kühler Luft spüren, die aus den Falten ihrer Jacke fielen (drei glänzende schwarze Knöpfe, abgerundete Taschen, ein schmaler Samtkragen: siehst du, ich erinnere mich an alles), als sie aufstand und tick-tack tick-tack zum Fenster ging und mit verschränkten Armen hinausblickte, das Gesicht von mir abgewandt.“ Einmal lässt sie sich die Augen verbinden, fordert ihn auf, sie am Fenster auszuziehen und fragt begierig, ob die Leute von der Straße gaffen. Morrow soll sie durch ein Guckloch in der Wand beobachten, während sie sich nackt auf der Chaiselongue räkelt. Schließlich verlangt sie, dass er sie mit seinem Gürtel auspeitscht und es mit ihr vor den Augen einer Prostituierten treibt.

Zwischen den Schäferstündchen — von seiner Arbeit an den Gemälden hört man wenig — kümmert sich Morrow um seine alte Tante Corky, die in einem tristen Altenheim lebt und erfundene Geschichten über ihr Leben erzählt. In einer plötzlichen Eingebung holt er sie in seine kleine Mietwohnung. „Ich hatte geglaubt, mit allem abgeschlossen zu haben, mit Begierde und Pflicht, Mitgefühl, dem Bedürfnis nach anderen — mit einem Wort, mit dem Leben –, doch hier stand ich, nach einem Mädchen schmachtend und beladen mit einer sterbenden Verwandten, und steckte wieder bis zum Hals in dem ganzen Quatsch.“ Bald darauf stirbt Tante Corky und hinterlässt Morrow ihr ganzes Vermögen.

Irgendwann will Pa mit Morrow reden. Der Gangsterboss wartet auf ihn im Fond seines amerikanischen Straßenkreuzers „in Blasslila mit Heckflossen und einer ganzen Batterie von Rücklichtern“. Morrow erinnert sich: „Diesmal war er in einen weiten Mantel mit breitem Pelzkragen gehüllt, auf dem sein großer, blasser, spitz zulaufender Kopf mit den Speckfalten unterm Kinn saß, als wäre er vorsichtig dorthin gesetzt worden und könnte bei der geringsten Bewegung herunterfallen. Sehr kleine Augen, weich gekocht in den runzligen Höhlen, schwenkten herum und musteren mich, und eine Hand tauchte aus den Falten des Mantels auf und wurde mir gereicht.“

Von den Gemälden, die Morrow schätzen soll, vermutet er, dass sie aus einer Ausstellung gestohlen wurden. Inspektor Hackett kennt er von früher. Der steht eines Tages mit schwerbewaffneten Polizisten in der Villa. Morden und Francie sind auch da. Und Francies Hund hat Hackett in die Hand gebissen. Mr. Sharpe, ein von der Polizei bestellter zweiter Gutachter aus England, hält die acht Bilder allesamt für gefälscht und triumphiert über Morrow, der das Gegenteil behauptet hatte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand ein solches Gekleckse für echt halten kann.“ Offenbar haben „der Maler Gall und der Scheißkünstler Packy Plunkett“ sie im Keller der Villa kopiert, und Francie hat sie gerahmt. Sie waren noch feucht, als Morrow sie zum ersten Mal sah — aber er merkte es nicht.

Morden taucht mit den Originalen unter. Mit ihm verschwindet A. Morrow findet nur einen Zettel, den sie mit einer Sicherheitsnadel an der Sofalehne befestigt hat: „Muss weg. Tut mir leid. Schreib mir.“ Doch Morrow hat keine Adresse.

Er beginnt zu schreiben. Ein Jahr lang. Schreibt ein ganzes Buch voll, versucht sich zu erinnern, was geschehen ist. Was daran wahr ist und was erfunden, weiß er selbst kaum zu unterscheiden. Das ist wie bei Tante Corkys Lebensgeschichte.

Später stellt sich heraus, dass eines der acht Bilder echt war: „Die Geburt der Athena“ von Jean Vaublin. Unter den Fälschungen versteckt, wollte Pa das echte Gemälde einem Interessenten zuspielen. Das gehört zu einer Art Spiel zwischen Pa und Inspektor Hackett. „Seit Jahren sind wir damit zugange, der Pa und ich. Es ist wie eine dieser Fernschachpartien.“ Hackett klärt Morrow darüber auf, dass es sich bei A. um Pas Tochter und Mordens Schwester handelt.

Seit dem Beginn der Affäre zwischen Morrow und A. ging ein Serienmörder in Dublin um. Als A. verschwunden ist, notiert Morrow: „Die Morde scheinen aufgehört zu haben. Seit Wochen hat die Polizei keine Leiche mehr entdeckt. Das beunruhigt mich.“

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Das Besondere an dem Roman „Athena“ von John Banville ist nicht die Geschichte, von der vieles nur angedeutet wird, sondern die Art des Erzählens. Es ist so, als würden wir lesen, was Morrow geschrieben hat. Das klingt wie ein Brief. Immer wieder findet er verblüffende Metaphern, aber er kommentiert auch, was er sagt, überlegt, korrigiert sich, schweift ab, stellt fest, dass ihm die Erinnerung einen Streich gespielt hat oder stellt einfach in Frage, was er gerade behauptet hat. Was ist daran wahr und was erfunden?

„Die Straße war belebt wie immer. Die Sonne schien in ihrer halbherzigen Weise –, ja der Frühling ist gekommen, trotz all meiner gegenteiligen Bemühungen. Plötzlich sah ich sie — oder nein, nicht plötzlich, es war nichts Plötzliches oder Überraschendes dabei. Sie war einfach da, in ihrem schwarzen Mantel und ihren schwarzen Stöckelschuhen, und hastete mit einer Hand an der Brust und gesenktem Kopf in jenem wässrigen Licht und in ihrem unverkennbaren steifbeinigen Eiltempo auf dem Gehsteig voller Menschen dahin. Wohin ging sie in solcher Hast, so erwartungsvoll? Die ganze Stadt lag vor ihr, in April getaucht und vom Abend überschwemmt. Ich sage sie, aber natürlich weiß ich, dass sie es nicht war, nicht wirklich. Und doch war sie es. Wie kann ich das ausdrücken? Es gibt eine Sie, die verschwunden ist, die in irgendeinem südlichen Irgendwo ist, auf immer für mich verloren, und dann gibt es diese andere, die aus meinem Kopf hervorkommt und über die sonnenbeschienenen Gehsteige davoneilt, um etwas zu tun, ich weiß nicht was. Um zu leben. Wenn ich es leben nennen kann; und das will ich. Schreib mir, sagte sie. Schreib mir. Ich habe geschrieben.“

Die auf Hochglanz polierte funkelnde Sprache wirkt wunderbar unangestrengt. Ein raffiniertes Buch, ein außergewöhnliches Lesevergnügen.

Die Romane „Das Buch der Beweise“, „Geister“ und „Athena“ bilden die so genannte „Mördertrilogie“ von John Banville.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Textauszüge: © Kiepenheuer und Witsch

John Banville (kurze Biografie / Bibliografie)

John Banville: Das Buch der Beweise
John Banville: Geister
John Banville: Der Unberührbare
John Banville: Sonnenfinsternis
John Banville: Caliban
John Banville: Die See
John Banville: Unendlichkeiten
John Banville: Im Lichte der Vergangenheit

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