Live Flesh. Mit Haut und Haar

Live Flesh. Mit Haut und Haar

Live Flesh. Mit Haut und Haar

Live Flesh. Mit Haut und Haar - Originaltitel: Carne trémula - Regie: Pedro Almodóvar - Drehbuch: Pedro Almodóvar, Ray Loriga und Jorge Guerricaechevarria, nach dem Roman "In blinder Panik" von Ruth Rendell - Kamera: Affonso Beato - Schnitt: Pepe Salcedo - Musik: Alberto Iglesias - Darsteller: Liberto Rabal, Francesca Neri, Angela Molina, Javier Bardem, José Sancho, Penélope Cruz, Pilar Bardem, Alex Angulo, Agustín Almodóvar u.a. - 1997; 100 Minuten

Inhaltsangabe

Ein zwanzigjähriger Spanier hat zum ersten Mal Sex mit einer jungen Frau. Er kann nicht glauben, dass sie sich eine Woche später kaum noch an ihn erinnert und nichts mehr von ihm wissen will, ihn sogar mit vorgehaltene Pistole aus ihrer Wohnung zu vertreiben versucht. Als sich aus der Waffe ein Schuss löst, gerät das Leben von fünf Menschen durcheinander.


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Kritik

Durch einen Zufall verstricken sich fünf Menschen in einem Knäuel aus Liebe und Leidenschaft, Eifersucht, Hass und Rachebedürfnis, Verzicht, Mitleid und Schuldgefühl. "Live Flesh" ist weniger schrill als andere Filme von Pedro Almodóvar. Der Film besticht v.a. durch die ausgeklügelte Geschichte mit ihren überraschenden Wendungen.
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Madrid, Januar 1970. Bei der schwangeren Prostituierten Isabel Plaza (Penélope Cruz) setzen die Wehen ein. Doña Centro (Pilar Bardem), die Betreiberin des Bordells, hilft ihr auf die Straße hinunter. Der einzige Autofahrer, der vorbeikommt, hält nicht an. Als ein Linienbus naht, stellt sich ihm Doña Centro entschlossen in den Weg. Der Fahrer (Alex Angulo) ist mit dem leeren Bus auf dem Weg ins Depot, aber Doña Centro gibt nicht nach: Er muss mit ihr und Isabel zum Krankenhaus. Während der Fahrt platzt die Fruchtblase. Da übernimmt Doña Centro die Rolle der Hebamme. Nachdem sie die Nabelschnur mit den Schuhbändern des Fahrers abgeschnürt und dann durchgebissen hat, verkündet sie mit blutverschmiertem Mund der jungen Mutter die Geburt eines gesunden Jungen. Victor soll er heißen, stöhnt Isabel.

Madrid, 1990: Victor Plaza (Liberto Rabal) ist inzwischen zwanzig Jahre alt. In einer Diskothek lernt er die Diplomatentochter Elena Benedetti (Francesca Neri) kennen. Auf einem Bierdeckel der Brauerei Warsteiner notiert sie ihre Telefonnummer. Eine Woche später ruft er sie an, aber sie kann sich kaum noch an ihn erinnern und weist ihn ab. Frustriert fährt er mit einem Bus ziellos durch die Stadt, bis er zufällig in die Nähe ihrer Wohnung kommt. Er klingelt, und sie öffnet ihm, weil sie glaubt, es sei der telefonisch bestellte Drogendealer. Victor kann es nicht fassen, dass sie ihn hinauswerfen will. „Wir hatten doch so geilen Sex. Und es war mein erstes Mal!“ Schonungslos klärt sie ihn darüber auf, dass er nur zwischen ihren Beinen masturbiert hatte und will ihn mit vorgehaltener Pistole zum Verlassen ihrer Wohnung zwingen. Victor gibt ihr einen Schubs. Elena stürzt. Dabei löst sich ein Schuss.

Eine Nachbarin, die den Schuss gehört hat, ruft die Polizei an. Die beiden zivilen Streifenbeamten Sancho (José Sancho) und David (Javier Bardem) fahren zu der angegebenen Adresse. Obwohl er im Dienst ist und am Steuer sitzt, hat Sancho einiges getrunken. So halte er seinen Liebeskummer besser aus, erklärt er David. Er glaubt nämlich, dass seine Frau Clara (Angela Molina) ihn betrügt.

Inzwischen erwacht Elena aus ihrer kurzen Bewusstlosigkeit. Im Fernsehgerät ist der Film „Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz“ von Luis Buñuel aus dem Jahr 1955 zu sehen. Als Victor ihre Pistole auf eine Kommode in der Diele legt und gehen will, sieht er sich den beiden Polizisten mit ihren gezogenen Pistolen gegenüber. Ohne lang nachzudenken, greift er sich die Pistole von der Kommode, packt Elena und hält ihr die Waffe an die Stirn. Weil Sancho außer sich gerät und zu schießen droht, nimmt David ihm die Dienstpistole ab. Dann redet er beruhigend auf Victor ein, bis dieser Elena freigibt und die Hand mit der Pistole sinken lässt. Auf diesen Augenblick hat Sancho gelauert: Er stürzt sich auf ihn und reißt ihn zu Boden. Ein Schuss löst sich. Auf dem Bildschirm ist gerade zu sehen, wie jemand von einem Schuss getroffen zusammenbricht.

Victor wird zu sechs Jahren Haft verurteilt. 1992 schaut er sich die Paralympics im Fernsehen an. Einer der erfolgreichen spanischen Basketballspieler ist David de Paz, der aufgrund der Schussverletzung querschnittgelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Elena hat ihn nach einer Entziehungskur geheiratet, wohl auch, weil sie sich mitschuldig an seiner Behinderung fühlt.

1996, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, kehrt Victor in das verwahrloste Haus zurück, in dem seine Mutter gewohnt hatte. Inzwischen ist sie an Krebs gestorben.

Ein paar Tage später taucht er bei der Beerdigung von Konsul Benedetti auf, Elenas Vater, und lernt dabei Sanchos Frau Clara kennen. Sie verliebt sich in den Sechsundzwanzigjährigen und führt ihn in die Liebe ein. Victor ist begierig, von ihr zu lernen, denn er möchte der beste Liebhaber der Welt werden, sich dann eine Nacht lang mit Elena einsperren, sie süchtig nach seiner Liebe machen und sie dann unbarmherzig verlassen. Das ist sein Racheplan.

Als David von Elena erfährt, dass Victor auf der Beerdigung war – er selbst hat ihn nicht gesehen –, sucht er ihn auf und warnt ihn davor, Elena nachzuspionieren. Er benötigt einige Zeit, um vom Rollstuhl ins Auto zu steigen, und gerade als er losfahren will, sieht er Clara in das Haus gehen.

David beschattet Victor und beobachtet nach einiger Zeit, wie er in dem von Elena geleiteten Kindergarten verschwindet. Tatsächlich ließ Victor sich während Elenas Abwesenheit von einer ihrer Mitarbeiterinnen als Praktikant anstellen, und er kommt gut mit den Kindern zurecht. Elena war zwar entsetzt, als sie ihn zum ersten Mal sah, aber sie glaubte, ihm die Stelle nicht verwehren zu können. David folgt Victor und droht ihm noch einmal. Da klärt dieser ihn darüber auf, was vor sechs Jahren wirklich geschehen war: Während der Rauferei mit Sancho hatte Victor zwar den Finger auf dem Abzug der Pistole, aber Sancho umklammerte ihn und drückte seinen Finger, bis sich der Schuss löste. Und das, behauptet Victor, sei kein Unglücksfall gewesen, sondern Absicht. Sancho hatte nämlich damals herausgefunden, dass Clara und David ihn betrogen.

David erzählt Elena, was er von Victor erfahren hat.

Victor gesteht ihr schließlich, wie er sich nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis an ihr hatte rächen wollen. Als er im Kindergarten Nachtschicht hat, taucht unvermittelt Elena bei ihm auf, zieht sich aus und verbringt die Nacht mit ihm.

Clara packt ihre Koffer und will Sancho verlassen. Als er sie aufzuhalten versucht, schießt sie mit einer Pistole auf ihn. Zum Glück streift das Projektil nur Sanchos Hüfte.

Als David telefoniert und danach das Haus verlässt, ist Elena sehr beunruhigt. Durch Wahlwiederholung findet sie heraus, dass er Sancho anrief. Inzwischen trifft David bei Sancho ein und verrät ihm, mit wem Clara in den letzten Wochen zusammen war. Als Beweis zeigt er ihm die Fotos, die er heimlich von den beiden aufgenommen hatte. Zur gleichen Zeit findet Elena die Negative der Fotos. Aufgeregt ruft sie im Kindergarten an, um sich Victors Adresse geben zu lassen. Sancho fragt David ebenfalls nach Victors Adresse.

Victor ist nicht zu Hause. In seiner Wohnung schreibt Clara ihm einen Zettel, auf dem sie ihn vor Sancho warnt. Der tritt die Tür ein. Mit vorgehaltenen Pistolen stehen er und Clara sich gegenüber. Als Victor zurückkommt, hört er zwei Schüsse. Die beiden haben aufeinander geschossen. Clara liegt tot am Boden, Sancho schwer verletzt neben ihr. Während Victor wie versteinert auf die beiden starrt, nimmt Sancho die Hand der Toten, in der sie noch immer die Pistole hält und zielt auf Victor. In diesem Augenblick trifft Elena ein und hört den dritten Schuss.

Epilog: David lebt inzwischen in Florida. In Madrid fährt Victor mit seiner schwangeren Frau Elena im Taxi zur Klinik, denn die Wehen haben eingesetzt. Während bei seiner eigenen Geburt die Straßen leer waren, weil sich die Menschen unter dem Franco-Regime nicht sicher fühlten, wimmelt es jetzt überall von Autos und Fußgängern. Die Menschen haben keine Angst mehr.

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Durch einen Zufall verstricken sich fünf Menschen in einem verhängnisvollen Knäuel aus Liebe und Leidenschaft, Eifersucht, Hass und Rachebedürfnis, Verzicht, Mitleid und Schuldgefühl.

Wie in anderen Filmen Pedro Almodóvars auch, ist die Leidenschaft der Motor des Geschehens. Obwohl es wieder um heftige Gefühle geht, ist „Live Flesh. Mit Haut und Haar“ weniger schrill als andere Filme von Pedro Almodóvar. Der Film besticht vor allem durch die ausgeklügelte Geschichte mit ihren überraschenden Wendungen.

Seine Filme sind nie um eine Hauptfigur herum organisiert, sondern eher um ein schillerndes Gravitationsfeld extremer Emotionen. (Merten Worthmann in „Die Zeit“, 3. August 2006)

Dem Film liegt der 1986 veröffentlichte Roman „Live Flesh“ („In blinder Panik“) von Ruth Rendell zugrunde.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003

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