Adele Spitzeder


Adele Spitzeder wurde am 9. November 1832 in Berlin geboren, und zwar als Tochter des königlich bayerischen Hofopernsängers Josef Spitzeder und dessen zweiter Ehefrau Betty Vio, die ebenfalls zum Ensemble der bayerischen Hofoper gehörte. Bald nach Adeles Geburt zogen die Eltern mit ihr und ihren sechs Halbgeschwistern aus der ersten Ehe des Vaters nach München, wo Josef Spitzeder an einem Lungenleiden starb, sodass Betty Vio allein für die sieben Kinder sorgen musste. Dennoch konnte Adele Spitzeder aufgrund der Unterstützung des bayerischen Königs teure Privatschulen besuchen.

Sie wurde Schauspielerin und trat nach ihrem Debüt an der Hofbühne zu Coburg u. a. in Mannheim, München, Brünn, Nürnberg, Frankfurt/M, Karlsruhe, Berlin, Baden-Baden und Altona auf. Dann kehrte sie nach München zurück. Statt eine

Wohnung zu mieten, nahm sie sich ein Zimmer im Gasthof „Goldener Stern“ im Tal. Um ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können, lieh sie sich von einem Zimmermann in München Geld und bezahlte dafür 10 Prozent Zinsen pro Monat in bar. Weil sich das rasch herumsprach, boten ihr auch andere Handwerker Kredite an, und nach einiger Zeit legte die Arbeiterschaft der Lederfabrik in Giesing ihre gesamten Ersparnisse bei Adele Spitzeder an. Schließlich verkauften einige Bauern sogar ihre Höfe, weil sie glaubten, von dem Kapitalertrag besser als von der landwirtschaftlichen Arbeit leben zu können. 1869 gründeten Adele Spitzeder und ihre damalige Lebensgefährtin Emilie Stier an der Ecke Schönfeld-/Kaulbachstraße in München eine Bank, die wegen der vielen Anleger aus Dachau im Volksmund „Dachauer Bank“ genannt wurde.

1871 konnte Adele Spitzeder es sich leisten, in der Schönfeldstraße ein Haus zu kaufen und es nach ihren Vorstellungen umbauen und einrichten zu lassen. Im Jahr darauf richtete sie im Orlando-Haus am Platzl eine „Münchener Volksküche“ ein, um „dem Mittel- und Arbeiterstande, sowohl früh, wie auch mittags und abends kräftige und billige Kost zu geben“. Ihre Kunden verehrten Adele Spitzeder als Wohltäterin, und wenn sie vierspännig ausfuhr, huldigten ihr die Passanten wie einer Fürstin.

Schließlich erweiterte Adele Spitzeder ihre Geschäfte auch noch um Immobilien.

Von Buchführung scheinen jedoch weder sie noch ihre bis zu 40 Mitarbeiter etwas verstanden zu haben. Es heißt, sie habe Säcke voller Geld in der Wohnung aufbewahrt und Einzahlungen lediglich in einem Kontobuch vermerkt. Aber sie begriff die Bedeutung von Public Relations, obwohl man den Begriff noch gar nicht kannte. Vorübergehend gab Adele Spitzeder eine eigene Zeitung heraus, und sie ließ Redakteuren Geld zukommen.

Dennoch verschärfte sich die Kritik an ihrem Geschäftsgebaren, das man heute als Schneeballsystem bezeichnen würde. 1872 erreichten ihre Gegner, dass 40 oder mehr Kunden der Bank ihre Einlagen abhoben. Weil die Bank den Aderlass nicht verkraftete, wurde sie am 19. November 1872 vom königlichen Bezirksgericht in München geschlossen. 30 000 Anleger waren von der Bankenpleite betroffen.

Adele Spitzeder selbst wurde verhaftet. Am 14. Juli 1873 begann der Prozess gegen sie. Wegen betrügerischen Bankrotts, fehlender Buchführung, Verschwendung und Unterschlagung von Einlagen verurteilte das Schwurgericht Adele Spitzeder am 20. Juli zu drei Jahren und zehn Monaten Zuchthaus. Mitangeklagte kamen auf freien Fuß, weil ihre Freiheitsstrafen bereits durch die Untersuchungshaft abgegolten waren. Aus gesundheitlichen Gründen verbüßte Adele Spitzeder ihre Haftstrafe statt im Zuchthaus im Gefängnis in der Badstraße. Dort schrieb sie ihre Memoiren, die das Stuttgarter Verlagscomptoir 1878 unter dem Titel „Geschichte meines Lebens“ veröffentlichte (Nachdruck: Buchendorfer Verlag, München 1996).

Nach ihrer Freilassung ging Adele Spitzeder zunächst ins Ausland. Dann kehrte sie unter dem Familiennamen ihrer während des Gerichtsverfahrens verstorbenen Mutter nach München zurück. 1880 versuchte sie noch einmal eine Bank zu eröffnen, aber das Vorhaben wurde von den Behörden vereitelt. Adele Vio, wie sie sich nun nannte, komponierte Salonstücke und eine Operette, sie trat als Sängerin auf, spielte Klavier, malte und ließ sich zu Lesungen aus ihrem Buch einladen.

Am 27. Oktober 1895, zwei Wochen vor ihrem 63. Geburtstag, starb Adele Spitzeder in München an Herzversagen.

Gabriel Gailler verarbeitete ihre Biografie in einem Marionettenstück. 1966 befasste sich Reinhard Raffalt in der Komödie „Das Gold von Bayern“ mit Adele Spitzeders Machenschaften. 1972 inszenierte Peer Raben mit Ruth Drexel in der Titelrolle den Fernsehfilm „Adele Spitzeder“, und Martin Sperr, der das Drehbuch geschrieben hatte, brachte den Stoff dann auch noch in seinem am 11. September 1977 uraufgeführten Theaterstück „Die Spitzeder“ auf die Bühne. Von Hannes Spring stammt die Fernsehdokumentation „Adele Spitzeder oder das Märchen von den Zinsen“ aus dem Jahr 1992. Xaver Schwarzenberger führt Regie in dem am 11. Januar 2012 erstmals ausgestrahlten Fernsehfilm „Die Verführerin Adele Spitzeder“, in dem Birgit Minichmayr die Hauptrolle spielt.

© Dieter Wunderlich 2012
Hauptquelle: Marita A. Panzer und Elisabeth Plößl,

Xaver Schwarzenberger: Die Verführerin Adele Spitzeder

Hape Kerkeling - Ich bin dann mal weg
"Ich bin dann mal weg" ist eine Mischung aus Tagebuch und Reisebericht. Hape Kerkeling schreibt humorvoll und unterhaltsam, selbstironisch, mitunter nachdenklich, erwähnt auch Zweifel, psychische und physische Schwierigkeiten. Die gewonnenen Einsichten sind allerdings nicht besonders tiefschürfend.
Ich bin dann mal weg